IX. Die zZeit des Ringens nach Einheit und Freiheit. 115
daß es eins seiner besten Glieder wiedergewonnen hatte. Länger
verzog sich die Ubergabe von Metz. Diese Festung ist eine der stärksten;
ihre Belagerung erforderte daher die Anstrengung aller Kräfte und
eine unermüdete Ausdauer. Die Unsern lagerten zum großen Teile
auf dem bloßen, von anhaltenden Negengüsen aufgeweichten Boden
und hatten bei dem Mangel an warmer Kleidung viel zu leiden. In
der Stadt begannen Hunger und ansteckende Krankheiten zu wüten.
Wiederholt machte Bazaine heftige Ausfälle, die zurückgeschlagen
wurden. Nach fiebzigtägiger Belagerung übergab auch er die Festung.
Damit fiel abermals eine Armee von 180000 Mann und viel Kriegs-
geräte in unsere Hände.
3. Ein Teil des Belagerungsheeres ging nach dem Norden Frank-
reichs, während Prinz Friedrich Karl mit dem andern der Loire zuzog.
Die Belagerten rechneten nämlich auf die Hilfe der neuen Armeen,
welche im Süden, Westen und Norden Frankreichs eiligst gebildet
worden waren; diese mußten von Paris fern gehalten werden. Die
Aufgabe war schwierig; denn Paris ist die größte Festung der Welt.
Der Einschließungsring unserer Truppen hatte eine Ausdehnung von
zwölf Meilen. Dadurch wurde ein gefährlicher Vorpostendienft nötig.
Neben steter Erwartung feindlicher Ausfälle mußten unsere Krieger
drückende Entbehrungen ertragen, zu denen sich später Regen, Schnee
und Kälte gesellten. Das vermochte aber nicht ihren freudigen
Kampfesmut zu brechen; alle Versuche der Pariser, durchzubrechen,
waren vergeblich. Mit dem 27. Dezember begann die Beschießung
der Stadt, und am 28. Januar 1871 mußte die französische Regierung
Paris übergeben. Damit war der gewaltige Kampf glücklich beendigt.
4. In dem bald folgenden Friedensschlusse zu Frankfurt am Main
trat Frankreich Elsaß und Deutsch-Lothringen an Deutschland ab und
verpflichtete sich zur Zahlung von 5 Milliarden Franken (4000 Mil-
lionen Mark) Kriegskoften.
117. Vie Wiederaufrichtung des deutschen
Kaiserreichs.
18. Jannar 1871.
I. Im Schlosse des Königs von Frankreich zu Versailles wurde
am 18. Jannar 1871 durch eine feierliche Handlung König Wilhelm
von Preußen als Deutscher Kaiser ausgerufen. Unter all der prahle-
rischen Eitelkeit des Schlosses ftand ein bescheidener Altar mit zwei
brennenden, goldenen Kronleuchtern und davor ein preußischer Geist-
licher in schmucklosem, einfachem Anzuge. Ihm gegenüber hatten der
König, der Kronprinz und viele fürstliche Gäste Platz genommen.
Bismarck und Moltke standen in der Nähe deß Königs. Ein Soldaten-
sängerchor leitete die kirchliche Feier durch Gesang mit Posannen=
begleitung ein; dann erfolgte das Kommando: „Helm ab zum Gebetl“.
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