Full text: Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.

1. Abschnitt. Allgemeine Vorschriften. (8 1.) 33 
treffen können. Jedenfalls kann der unmittelbare Reichsangehörige aus 
83 der deutschen Verfassungsurkunde grundjsätzlich für sich die gleichen 
Rechte ableiten wie der mittelbare Reichsangehörige. Bei der tatsächlichen 
Inanspruchnahme beispielsweise des Rechts auf Freizügigkeit ergibt sich 
aber, daß ihm auf Grund der 88 3ff. des Freizügigkeitsgesetzes der 
Aufenthalt in allen Bundesstaaten untersagt werden kann, weil er unter 
ihnen keinen Heimatstaat hat. Aus dem gleichen Grunde stehen dem 
unmittelbaren Reichsangehörigen, der sich etwa in einem Bundesstaate 
niedergelassen hat, auch nicht die Wahl= und Ehrenrechte zu, die an den 
Untertanenverband des Bundesstaats geknüpft sind. Seine Rechte bleiben 
sonach erheblich hinter denen der Angehörigen eines deutschen Bundes- 
staates zurück, sind aber anderseits auch nicht etwa auf die Schutzgebiete 
beschränkt. 
Die Verleihung und Entziehung der unmittelbaren Reichsangehörig- 
keit obliegt dem Reichskanzler. Er übt hierbei nicht etwa ein verfassungs- 
mäßiges Recht des Deutschen Reichs aus; denn das Reich besitzt auf 
dem Rechtsgebiete der Staatsangehörigkeit keine Landeshoheit. Die Unter- 
tanenstellung kann begrifflich nur der Herrscher des selbständigen Staates 
verleihen und entziehen. Einem Verbande selbständiger Staaten kann 
das gleiche Recht weder für das Gesamtgebiet des Verbandes, noch für 
das Gebiet eines einzelnen Gliedstaats neben dem Hoheitsrechte der 
Verbandsstaaten zustehen, es sei denn, daß die Einzelstaaten ihre Hoh- 
heitsrechte hinsichtlich der Staatsangehörigkeit dem Verbande übertragen 
hätten. Im Deutschen Reiche ist dies nicht geschehen; die Reichsverfassung 
enthält keine derartige Ubertragung. Vielmehr anerkennt ihr Art. 3 aus- 
drücklich, daß nur der Bundesstaat Einheimische besitzt, und bestätigt 
die einzelstaatliche Landeshoheit in der Bestimmung, daß der Bundes- 
staat die Angehörigen der übrigen Verbandsglieder in vielen Beziehun- 
gen des öffentlichen und privaten Rechts seinen Einheimischen gleich zu 
behandeln habe. Auch die Reichsgesetze vom 1. Juni 1870 und vom 
22. Juli 1913 haben die staatsrechtliche Lage nicht geändert; sie stehen, 
wie oben ausgeführt, auf dem Standpunkte, daß der Bundesstaat allein 
das Recht der Aufnahme in seinen Staatsverband und der Entlassung 
besitzt und durch das Reichsrecht nur gewissen Regeln für die Ausübung 
seines Hoheitsrechts unterworfen ist. Namentlich enthält das R. u. St Ges. 
keinen Verzicht der deutschen Bundesstaaten auf ihre Hoheitsrechte zu- 
gunsten des Reichs. Ein solcher Verzicht hätte eine Verfassungsänderung 
gebildet, die beim Widerspruch von vierzehn Stimmen im Bundesrat 
als abgelehnt gegolten hätte (Art. 78 der Reichsverfassung; s. unten 
v. Welser, Reichs= und Staatsangehörigkeitsgesetz. 3
	        
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