Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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Ein Depeschenwechsel zwischen dem Zaren und dem König von England. 
Die Londoner „Times“ vom Ende der vorigen Woche bringen einem 
von der „Kölnischen Zeitung“ wiedergegebenen interessanten Depeschen- 
wechsel zwischen dem König von England und dem Zaren. Wir lassen 
denselben folgen: 
Der König von England an den Zaren: 
„Ich muß unbedingt glauben, daß ein Mißverständnis die Ursache 
für das plötzliche Abbrechen der Unterhandlungen zwischen Deutschland 
und Rußland gewesen ist. Alles, was in meiner Macht steht, will ich tun, 
um das furchtbare Unglück, das die Welt bedroht, abzuwenden. Ich 
wende mich darum persönlich an Dich mit der inständigen Bitte, alles zu 
versuchen, um dieses Mißverständnis aus dem Weg zu räumen, das ja 
unbedingt vorliegen muß, und den Weg, der vielleicht doch zum Frieden 
führen. könnte, nicht abschneiden. Wenn Du denkst, daß ich auf die eine 
oder andere Weise zu dieser so wichtigen Mission beitragen kann, so will. 
ich mit aller Kraft meiner Ueberzeugung darauf hinwirken, daß die ab- 
gebrochenen Verhandlungen zwischen den beiden Völkern wieder auf- 
genommen werden. Ich bin voll Vertrauen, daß Du wie ich nichts unver- 
sucht lassen wirst, um den Frieden zu erhalten.“ 
Antwort des Zaren an den König von England. 
„Ich hätte Deinen Rat gerne befolgt, wenn nicht heute mittag der 
deutsche Gesandte meiner Regierung die Note mit der Kriegserklärung 
überreicht hätte. 
Seit dem Augenblick, wo das Ultimatum in Belgrad überreicht 
wurde, hat Rußland mit aller Kraft auf eine friedliche Lösung der öster- 
reichisch-russischen Spannung hingearbeitet. Oesterreichische Ziele und 
Müünsche lagen klar auf der Hand, nämlich aus Serbien einen Vasallen- 
staat Oesterreichs zu machen. Die Folge davon wäre eine völlige Ver- 
schiebung des Gleichgewichts auf dem Balkan gewesen, das für mein 
Kaiserreich Lebensinteressen bedeutet. Jeder Vorschlag, auch der Deinige, 
wäre durch Deutschland und Oesterreich verworfen worden. 
Oesterreichs Kriegserklärung an Serbien zwang mich, einen Teil 
meiner Armee zu mobilisieren, und infolge der drohenden Haltung 
Deutschlands drang mein militärischer Ratgeber auf die allgemeine Mo- 
bilisation, da Deutschland viel schneller mobilisieren kann als Rußland. 
Ich war gezwungen, diesem Rate zu folgen angesichts der Totalmobili- 
sation des österreichischen Heeres, des Bombardements von Belgrad, der 
Konzentration österreichischer Truppen in Galizien und der geheimen 
militärischen Vorbereitungen in Deutschland. Daß ich richtig geurteilt 
habe, ersah ich aus der deutschen Kriegserklärung, die ich absolut nicht 
erwartet hatte, da ich Kaiser Wilhelm die kategorische Versicherung ge- 
geben hatte, daß keine Truppenbewegungen während der Vermitte- 
lungsverhandlungen stattfinden sollten. In dieser ernsten Stunde wünsche 
ich Dir die Versicherung zu geben, daß ich alles getan habe, was in meiner 
Macht stand, um den Krieg abzuwenden. Jetzt, wo er mir aufgedrungen 
ist, hoffe ich, daß Dein Land Frankreich und Rußland beistehen wird. 
Gott segne und beschirme Dich.“
	        
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