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Se. Exzellenz begann sofort mit einer Anrede, die ungefähr zwanzig
Minuten dauerte. Er sagte, der von der britischen Regierung beschlossene
Schritt sei im höchsten Grade schrecklich; nur um ein Wort „Neutralität“,
ein Wort, das in Kriegszeiten so oft mißachtet worden sei, nur um ein
Stück Papier sei Großbritannien im Begriff, Krieg mit einer verwandten
Nation zu führen, welche nichts Besseres wünsche, als mit ihr befreundet
zu bleiben. Alle seine Anstrengungen in dieser Richtung seien durch diesen
letzten schrecklichen Schritt nutzlos geworden, eine Politik, für die er sich,
wie ich wisse, seit seinem Amtsantritt eingesetzt habe, sei zu Boden gefallen
wie ein Kartenhaus. Was wir getan hätten, sei nicht auszudenken. Es
sei wie ein Schlag gegen einen Mann von hinten, während er mit zwei An-
greifern um sein Leben kämpfe. Er mache Großbritannien verantwortlich
für alle die schrecklichen Ereignisse, die eintreten könnten.
Ich protestierte gegen diese Erklärung nachdrücklich und sagte, so wie
er und Herr v. Jagow mich ersucht hätten einzusehen, daß der Vormarsch
durch Belgien und die Verletzung der belgischen Neutralität aus strategi-
schen Gründen eine Sache von Leben und Tod für Deutschland sei, ebenso
bäte auch ich ihn zu verstehen, daß es sozusagen eine Sache von Leben und
Tod für die britische Ehre sei, eine feierliche Verpflichtung zu halten und
alles zur Verteidigung der angegriffenen belgischen Neutralität aufzubieten.
Der Kanzler sagte: „Aber um welchen Preis wird dieser Vertrag
gehalten Hat die britische Regierung daran gedacht?“ Ich deutete Sr.
Exzellenz so offen als ich konnte an, daß die Furcht vor den Folgen kaum
als Entschuldigung für den Bruch feierlicher Verträge anzusehen sei. Aber
Se. Exzellenz war so erregt, so offensichtlich von der Nachricht von unserem
Handeln überwältigt und so wenig aufgelegt, Vernunftgründe anzuhören,
daß ich davon abstand, durch ferneres Argumentieren Oel in das Feuer zu
gießen. Als ich ihn verließ, sagte er: Der Schlag, den Großbritannien führe,
indem es sich zu Deutschlands Feinden geselle, sei um so größer, als fast
bis zum letzten Augenblick er und seine Regierung mit uns gearbeitet und
unsere Bemühungen zur Erhaltung des Friedens zwischen Oesterreich und
Rußland unterstützt hätten. Ich sagte, dies eben gehöre zu der Tragödie
der Trennung der beiden Nationen gerade in dem Augenblick, wo ihre Be-
ziehungen freundlicher und herzlicher geworden seien, als sie seit Jahren
waren. Unglücklicherweise habe sich trotz unserer Bemühungen, den
Frieden zwischen Rußland und Oesterreich zu erhalten, der Krieg aus-
gebreitet und uns einer Situation gegenübergestellt, die wir, wenn wir
unsere Verpflichtungen einhalten, unmöglich vermeiden konnten und die
unglücklicherweise den Bruch mit unseren bisherigen Mitarbeitern zur
Folge habe. Er würde ohne Zweifel verstehen, daß niemand dies mehr
bedauere als ich.
Die Kriegserklärung.
Etwa um 9.30 Uhr abends besuchte mich Herr Zimmermann, der
Unterstaatssekretär. Nach dem Ausdruck seines tiefen Bedauerns fragte er
mich beiläufig, ob das Verlangen meiner Pässe mit einer Kriegserklärung
gleichbedeutend sei. Ich erwiderte, eine solche Autorität in Völkerrechts-
fragen, wie er selber sei, müsse ebensogut oder besser als ich wissen, was
in solchen Fällen das übliche sei. Ich fügte hinzu, daß es viele Fälle
gegeben habe, wo die diplomatischen Beziehungen abgebrochen wurden und
dennoch kein Krieg folgte, daß aber in dem vorliegenden Falle er aus