Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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Die Ueberreichung des Ordens pour le mérite an Kaiser Franz Josef. 
Wien, 11. September. 
Der Kaiser hat heute vormittag den deutschen Botschafter 
v. Tschirschky u. Bögendorff in Audienz empfangen. Der Botschafter 
überreichte bem Monarchen im Auftrage des Deutschen Kaisers die In- 
signien des dem Kaiser kürzlich verliehenen Ordens pour le mérite. 
Ein neuer Nachweis für den französischen Neutralitätsbruch. 
Dem Briefe eines preußischen Offiziers der Infanteriebedeckung der 
Kruppschen 42-Zentimeter-Mörserbatterie entnehmen wir folgendes: 
Gestern sprach ich mit zwei verwundeten Franzosen. In einem 
Keller wurden sie nach vier Tagen gefunden. Der eine hatte den andern 
nicht verlassen wollen; aus Furcht wagten sie nicht, ans Tageslicht zu 
kommen. Die beiden erzählten, ihr Regiment Nr. 45 sei bereits am 
30. Juli in Lastautos nach Namur gebracht. Beide waren aus dem Fort 
Marchavalette bei Namur. 
Sir Edward Greys Verhandlungen mit dem Fürsten Lichnows#ky. 
Ein Angriff Keir Hardies gegen den Minister. 
Aus den Erklärungen des Führers der englischen Arbeiterpartei, 
Macdonald, hat man erfahren, daß Fürst Lichnowmsky in den Verhand- 
lungen vor Ausbruch des Krieges an Sir Edward Grey das bestimmte 
Ersuchen gestellt hat, selbst die Bedingungen zu formulieren, unter denen 
England neutral bleiben könnte. Sir Edward Grey hat dieses Ersuchen 
nicht beachtet, und er hat in seiner Rede vom 3. August dem Unterhause 
auch keine Mitteilung davon gemacht. Auf diesen Umstand hat, wie 
letzt aus den Berichten über die Sitzung des englischen Unterhauses vom 
27. August hervorgeht, ein anderes bekanntes Mitglied der englischen 
Arbeiterpartei, Keir Hardie aufmerksam gemacht und darüber eine An- 
krage an Sir Edward Grey gerichtet. Die bezeichnende Antwort Sir 
Edward Greys auf die Frage, warum er von diesem wichtigen Ersuchen 
des Fürsten Lichnowmsky das Haus nicht in Kenntnis gesetzt habe, war, 
daß er „keine Zeit gehabt habe, die Unterhaltung aufzuzeichnen.“ Darauf 
SItwickelte sich zwischen Keir Hardie und dem Minister der folgende 
ialog: 
Keir Hardie: „Wurde irgendein Versuch unternommen, um mit 
Deutschland auf Grundlage der Vorschläge des Fürsten Lichnowsky in 
Verhandlungen einzutreten?“ 
Sir Edward Grey: „Der deutsche Botschafter gab keinerlei Grund- 
lagen für Vorschläge. Es war der deutsche Reichskanzler, der die Grund- 
lage für Vorschläge machte. Der Botschafter fragte nur, indem er ohne 
Autorisierung aus eigener persönlicher Initiative sprach, ob wir Bedin- 
gungen formulieren würden, unter denen wir neutral blieben. Wir 
traten in die Erörterung der Frage ein, die Bedingungen wurden im 
Hause klargestellt und dem deutschen Botschafter mitgeteilt.“ 
Keir Hardie (unter der lebhaften Unruhe des Hauses): „Des- 
avouierte die deutsche Regierung in Berlin die Anregungen ihres Bot- 
schafters und wurde irgendwelcher Versuch unternommen, festzustellen, 
wie weit die deutsche Regierung den von ihrem Botschafter gemachten 
Anregungen zustimmen würde?“ 
  
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