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erklärte, es sei seine feste Ueberzeugung, daß die serbische Tragödie nicht
die eigentliche Ursache des Krieges sei. Diese sei nur ein Vorwand ge—
wesen. Er wisse bestimmt, daß der Krieg das Ergebnis eines wohlüber-
legten Beschlusses und eine direkte Folge der Reaktion und des Militaris-
mus sei, der in den regierenden Kreisen Deutschlands, in der nächsten
Umgebung des Kaisers Wilhelm vorherrsche. Der König habe das feste
Vertrauen, daß der Krieg mit einem Siege der Verbündeten enden werde.
Dann fügte er hinzu: Die parlamentarische Regierungsform hat Fehler,
aber kein unabhängiges deutsches Parlament hätte den verhängnisvollen
Eaßer begangen, Europa in eine derartig furchtbare Katastrophe hinein-
zustürzen. "
Jedermann in Deutschland könnte den König Albert eines Besseren
belehren. Die Sache zeigt lediglich, wie schlecht auch ein König in einem
parlamentarisch regierten Land über andere Völker unterrichtet sein kann.
(Tägk. Rundschau, 445, 18. September.)
Die weitere „Erwerbung“ englischer Kriegsschiffe.
Nach der „Erwerbung“ der beiden türkischen Linienschiffe „Sultan
Osman" und „Reschadije"“ hat die englische Admiralität jetzt auch Be-
schlag auf die beiden Linienschiffe „Almirante Cochrane“ und „Almirante
Latorre“ gelegt, die sich für Rechnung Chiles auf den Armstrongwerken
bei Elswick im Bau befinden. Ueber den eingelegten Protest des chile-
nischen Marinebevollmächtigten in London wird man sich englischerseits
nach dem bekannten Rezept hinwegsetzen, wenn es sich um einen Bruch
des Völkerrechts handelt. (Tägl. Rundschau, 445, 18. Septembe.r)
Die „Neutralität“ Belgiens.
Folgendes Schreiben des Direktors der Deutschen Schule in Ant-
werpen wird der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ zur Verfügung
gestellt: Wolfenbüttel, 9. September.
Durch Frau Oberlehrer Fridrich, welche Antwerpen erst Anfang
dieses Monats verlassen hat, erfahre ich, daß sämtliche Räumlichkeiten
der Deutschen Schule in Antwerpen einschließlich der Amtswohnung des
Direktors als Kaserne für belgisches Militär eingerichtet sind. Das ver-
anlaßt mich zur Mitteilung eines in politischer Hinsicht vielleicht nicht
unwichtigen Vorkommnisses: Mitte Juni d. J. erschien in der Schule
ein belgischer Polizeibeamter, Anfang Juli ein belgischer Offizier (beide
Male in Abwesenheit des Direktors), um die Räumlichkeiten der Schule
zu besichtigen; auf Befragen wurde beide Male erklärt, es handle sich
darum, festzustellen, wieviel Mann Militär in die Schule gelegt werden
könnten. Das zweite Mal wurde erklärt, die Schule könne ein Bataillon
und den Regimentsstab aufnehmen. In den 12½ Jahren meiner Amts-
tätigkeit in Antwerpen ist ein derartiges Ansinnen nie an die Schule
gestellt worden, welches jetzt zur Ausführung gekommen ist. Auffallender-
weise ist diese Anfrage gerade 6 bezw. 4 Wochen vor Ausbruch des Krieges
erfolgt, was darauf schließen läßt, daß man in Belgien schon damals mit
dem Kriege und mit der Belegung der Schule durch Militär rechnete.
gez. Dr. B. Gaster,
Direktor der Deutschen Schule in Antwerpen, zurzeit Wolfenbüttel.
(Preuß. Kreuzztg., 445, 18. September.)