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Es hieß stets, Englands größtes Interesse sei der Friede, und der bisherige
Verlauf des Kampfes dürfte diese Formel nicht entkräftet haben.
(Nordd. Allg. Ztg. 227, 20. Sept.)
Wien, 20. September. In Besprechung der englischen Thronrede
sagt das „Fremdenblatt“: Wie es Sitte und Brauch in England ist, wird
immer für eine unerlaubte Handlung eine moralische Deckung gesucht.
Die britische Regierung wirft sich als Verteidigerin der Vertragstreue auf
und behauptet, sie habe am Kriege teilnehmen müssen, weil Deutschland
die Neutralität dbechien verletzt hätte. Tatsächlich aber hatte Frankreich
vor Deutschland dieses schon getan, und zwar mit Zustimmung Belgiens
und ganz gewiß mit Duldung Englands. Die britische Regierung mußte
am Kriege teilnehmen, weil sie nicht frei war, wie sie immer behauptet
hatte. Ebenso wie über die Entstehung des Krieges, scheut sich das eng-
lische Kabinett, bezüglich des durch den Krieg zu erreichenden Zieles die
Wahrheit einzugestehen. In Wirklichkeit ergriff England die Gelegenheit,
die ihm günstig erschien, um dem aufstrebenden deutschen Handel und der
aufblühenden deutschen Seemacht einen schweren Schlag versetzen zu können.
Die „Neue Freie Presse“ erklärt: Nachdem man Deutschlands Zu-
geständnisse vor Ausbruch des Krieges aus den Berichten über die Ver-
handlungen zwischen Deutschland und England kennt, begreift man nicht die
Verwegenheit, der Welt solche offenkundigen Unwahrheiten vorzusetzen,
wie dies in der Thronrede geschieht. Die Beschirmung des Rechtes, von
der die Thronrede sagt, daß sie Großbritannien zum Kriege gezwungen
habe, besteht darin, daß England sich in den Frondienst des Panslawismus
stellt. Das unwürdige Ziel, welches erreicht werden muß, ehe England
die Waffen niederlegen will, sei, das Verbrechen mit Waffengewalt zu
schützen, ein großes, vornehmes Volk am Leben zu bedrohen, weil es nicht
länger die ins Schauerliche gewachsene Gehässigkeit um sich herum zu er-
tragen vermag.
Bulgarien gegen Serbien.
Sofia, 19. September. (Meldung der „Agence Bulgare“.) Flüch-
tige Mazedonier kommen fortgesetzt in bulgarisches Gebiet, um der völlig
unmenschlichen Behandlung zu entgehen, der sie durch die Behörden aus-
gesetzt sind, die sie offen verfolgen und mit täglich schwerer werdenden
Abgaben belasten. Soldaten, die hinter Verhauen verborgen sind, schießen
auf die Flüchtlinge, wenn sie im Begriff sind, die Grenze zu überschreiten,
und es ist vorgekommen, daß mehrere Male Geschosse in unmittelbarer
Nähe der bulgarischen Grenzposten niederfielen. Um unliebsame Zwischen-
fälle zu vermeiden, die leicht aus dieser Sachlage entstehen könnten, be-
absichtigt die bulgarische Regierung bei der serbischen Regierung Schritte
zu tun, damit sie die nötigen Maßnahmen hiergegen ergreife.
(Tägl. Rundschau 448, 19. Sept.)
Rußland hat vor dem Kriege mobil gemacht.
Berlin, 18. September, 12,10 vorm. (Priv.-Tel. Ctr. Bln.) Der
Inhaber eines großen industriellen Werkes in Berlin stellt der „Voss.
Itg.“ einen Brief eines russischen Geschäftsfreundes vom 29. Juli zur
Verfügung, der schlagend beweist, daß in Rußland die Mobilmachung nach
der ostpreußischen Grenze schon am 24. Juli d. J. in vollem Gange war.