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unser Deutsches Reich das Ansehen in der Welt erkämpften, haben wir
4 Jahre lang in Frieden gelebt und den Frieden Europas beschirmt.
In friedlicher Arbeit sind wir stark und mächtig geworden und darum
geneidet. Mit zäher Geduld haben wir es ertragen, wie unter dem
Vorwande, daß Deutschland kriegslüstern sei, in Ost und West Feind-
schaften genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. Der Wind,
der da gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf. Wir wollten in fried-
licher Arbeit weiterleben und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging
es vom Kaiser bis zum jüngsten Soldaten: Nur zur Verteidigung einer
gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. (Starker
Beifall.) Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist erschienen, gegen
unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Rußland hat die
Brandfackel an das Haus gelegt. (Lebh. Rufe: Sehr richtig! Sehr
wahr!) Wir stehen in einem gezwungenen Kriege mit Rußland und
Frankreich!
Lassen Sie mich
die Tatsachen herausheben,
die unser Haltung kennzeichnen.
Vom ersten Ausbruch des österreichisch-serbischen Konflikts an er-
klären und arbeiten wir dahin, daß dieser Handel auf Oesterreich-Ungarn
und Serbien beschränkt bleiben müsse. Alle Kabinette, insonderheit
England, vertreten denselben Standpunkt. Nur Rußland erklärt, daß
#es bei Austragung dieses Konfliktes mitreden müsse. Damit erhebt die
Gefahr europäischer Verwickelung ihr Haupt. (Lebhaftes Sehr richtig!
und Bewegung.) Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über russische
militärische Vorbereitungen vorliegen, lassen wir in Petersburg freund-
schaftlich, aber ernst mitteilen, daß kriegerische Maßnahmen gegen
Oesterreich-Ungarn uns auf der Seite unseres Bundesgenossen finden und
daß militärische Vorbereitungen gegen uns zu entsprechenden Gegenmaß-
regeln zwingen würden. Mobilmachung aber wäre nahe dem Kriege.
(Sehr richtig!) Rußland beteuert uns in feierlichster Weise seinen Frie-
denswunsch und daß es keinerlei militärische Vorbereitungen gegen uns
treffen werde. Inzwischen sucht England zwischen Wien und Peters-
burg zu vermitteln, was wir warm unterstützen. Am 228. Juli bittet
der Kaiser telegraphisch den Zaren,
er möge bedenken, daß Oesterreich-Ungarn das Recht und die Pflicht
habe, sich gegen die großserbischen Umtriebe zu schützen, die seine Existenz
unterwühlten. Der Kaiser erinnert an die solidarischen monarchischen
Interessen gegenüber dem Mord von Serajewo und hofft, daß der Zar
ihn unterstützen werde, die Gegensätze zwischen Rußland und Oesterreich
zu beseitigen. Ungefähr zu derselben Stunde und vor Empfang dieses
Telegramms bittet der Zar inständigst den Kaiser um seine Hilfe, er
wolle doch in Wien zur Mäßigung raten. Der Kaiser übernimmt die
Vermittlerrolle. Aber kaum ist die von ihm angeordnete Aktion im
Gange, so mobilisiert Rußland alle seine gegen Oesterreich-Ungarn ge-
richteten Streitkräfte. (Allgemeine Bewegung. Pfuirufe.) Oesterreich-
Ungarn selbst hatte nur gegen Serbien mobilisiert, gegen Rorden zu nur
zwei Armeekorps, aber fern von der russischen Grenze. Die russische
Mobilisierung war grundsätzlich schon beschlossen, bevor sich der Zar an