Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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unser Deutsches Reich das Ansehen in der Welt erkämpften, haben wir 
4 Jahre lang in Frieden gelebt und den Frieden Europas beschirmt. 
In friedlicher Arbeit sind wir stark und mächtig geworden und darum 
geneidet. Mit zäher Geduld haben wir es ertragen, wie unter dem 
Vorwande, daß Deutschland kriegslüstern sei, in Ost und West Feind- 
schaften genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. Der Wind, 
der da gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf. Wir wollten in fried- 
licher Arbeit weiterleben und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging 
es vom Kaiser bis zum jüngsten Soldaten: Nur zur Verteidigung einer 
gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. (Starker 
Beifall.) Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist erschienen, gegen 
unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Rußland hat die 
Brandfackel an das Haus gelegt. (Lebh. Rufe: Sehr richtig! Sehr 
wahr!) Wir stehen in einem gezwungenen Kriege mit Rußland und 
Frankreich! 
Lassen Sie mich 
die Tatsachen herausheben, 
die unser Haltung kennzeichnen. 
Vom ersten Ausbruch des österreichisch-serbischen Konflikts an er- 
klären und arbeiten wir dahin, daß dieser Handel auf Oesterreich-Ungarn 
und Serbien beschränkt bleiben müsse. Alle Kabinette, insonderheit 
England, vertreten denselben Standpunkt. Nur Rußland erklärt, daß 
#es bei Austragung dieses Konfliktes mitreden müsse. Damit erhebt die 
Gefahr europäischer Verwickelung ihr Haupt. (Lebhaftes Sehr richtig! 
und Bewegung.) Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über russische 
militärische Vorbereitungen vorliegen, lassen wir in Petersburg freund- 
schaftlich, aber ernst mitteilen, daß kriegerische Maßnahmen gegen 
Oesterreich-Ungarn uns auf der Seite unseres Bundesgenossen finden und 
daß militärische Vorbereitungen gegen uns zu entsprechenden Gegenmaß- 
regeln zwingen würden. Mobilmachung aber wäre nahe dem Kriege. 
(Sehr richtig!) Rußland beteuert uns in feierlichster Weise seinen Frie- 
denswunsch und daß es keinerlei militärische Vorbereitungen gegen uns 
treffen werde. Inzwischen sucht England zwischen Wien und Peters- 
burg zu vermitteln, was wir warm unterstützen. Am 228. Juli bittet 
der Kaiser telegraphisch den Zaren, 
er möge bedenken, daß Oesterreich-Ungarn das Recht und die Pflicht 
habe, sich gegen die großserbischen Umtriebe zu schützen, die seine Existenz 
unterwühlten. Der Kaiser erinnert an die solidarischen monarchischen 
Interessen gegenüber dem Mord von Serajewo und hofft, daß der Zar 
ihn unterstützen werde, die Gegensätze zwischen Rußland und Oesterreich 
zu beseitigen. Ungefähr zu derselben Stunde und vor Empfang dieses 
Telegramms bittet der Zar inständigst den Kaiser um seine Hilfe, er 
wolle doch in Wien zur Mäßigung raten. Der Kaiser übernimmt die 
Vermittlerrolle. Aber kaum ist die von ihm angeordnete Aktion im 
Gange, so mobilisiert Rußland alle seine gegen Oesterreich-Ungarn ge- 
richteten Streitkräfte. (Allgemeine Bewegung. Pfuirufe.) Oesterreich- 
Ungarn selbst hatte nur gegen Serbien mobilisiert, gegen Rorden zu nur 
zwei Armeekorps, aber fern von der russischen Grenze. Die russische 
Mobilisierung war grundsätzlich schon beschlossen, bevor sich der Zar an
	        
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