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Englands Verantwortung für den Welttrieg.
Staatsfekretär v. Jagow über den englischen Kriegs-
vorwand. — Die angebliche altruistische Fürsorge für
Belgien. — Die wahren Gründe der englischen Kriegs-
erklärung.
W.T. B. Kopenhagen,, 1. Oktober. Die „Nationaltidende“ ver-
öffentlicht folgende Aeußerungen des Staatssekretärs des deutschen Aus-
wärtigen Amtes, Staatsministers v. Jagow, die eine Antwort auf das
jüngst veröffentlichte Interviem mit dem englischen Unterstaatssekretär
Acland darstellen:
„Unterstaatssekretär Acland behauptet, das Eingreifen. Englands in
den Krieg sei darauf zurückzuführen, daß Deutschland die Neutralität
Belgiens verletzt habe. Ich kann nicht annehmen, daß diesem hohen Beam-
ten des Foreign Office unbekannt sein sollte, daß Sir E. Grey in seiner Rede
im englischen Unterhaus vom 3. August erklärt hat, er habe dem franzö-
sischen Botschafter bereits am Nachmittag des vorhergehenden Tages, also
am 2. August, die vollste Unterstützung der englischen Flotte für den Fall zu-
gesichert, daß die deutsche Flotte gegen die französische Küste oder die fran-
zösische Schiffahrt vorgehe. Erst in der Nacht vom 3. zum 4. August aber
erfolgte die Verletzung der belgischen Reutralität durch deutsche Truppen.
Ebensowenig kann der Unterstaatssekretär vergessen haben, daß Sir E. Grey
in seiner Unterredung mit dem Fürsten Lichnomsky am 1. August es aus-
drücklich abgelehnt hat, Deutschland die Neutralität Englands für den Fall
zuzusichern, daß Deutschland die Neutralität Belgiens respektiere. Es
handelt sich daher um einen, nicht einmal besonders geschickten erneuten
Versuch, die Welt über die Motive irre zu führen, die der englischen Beteili-
gung am Kriege zugrunde liegen. Sie bestehen nicht in einer altruistischen
Fürsorgr für die Unabhängigkeit und Integrität Belgiens. Diese war nicht
bedroht. Wir hatten sie England ausdrücklich zugesichert. Aber es ist be-
greiflich, daß ein Land, das seine Kolonialherrschaft auf den Trümmern
anderer Staaten aufgebaut hat, ein Land, das sich wie in jüngster Zeit noch
in Aegypten so oft über gegebene Versprechen und internationale Verträge
hinweggesetzt hat, dieser Zusicherung nicht traute. Ein deutsches Sprichwort
sagt: Man vermutet niemand hinter einem Busch, hinter dem man nicht
selbst gesessen hat. So tauchte in der Phantafie der englischen Staats-
männer das Schreckgespenst einer Besetzung Antwerpens durch deutsche
Truppen auf und, wie Sir E. Grey Frankreich die englische Hilfe schon für
den Fall einer Bedrohung von Calais und Cherbourg durch die deutsche
Flotte zugesichert hatte, so veranlaßte schließlich die Besorgnis, ein Teil der
Südküste des Kanals könne den schwachen Händen Belgiens entrissen und zu
einer Operationsbasis für die deutsche Flotte werden, England, nicht nur
sich selbst am Kriege zu beteiligen, sondern auch zu dem furchtbaren Ver-
brechen, das bedauernswerte Belgien zum Widerstand gegen den deutschen
Einmarsch zu ermutigen. Die Haltung Englands ist somit lediglich durch
den rücksichtslosen englischen Eigennutz bestimmt worden, der überhaupt für
den ganzen furchtbaren Krieg verantwortlich ist. Wenn heute auf den
Schlachtfeldern des Kontinents die Söhne Deutschlands, Oesterreichs,
Frankreichs und Rußlands für das Vaterland verbluten müssen, so trifft
die moralische Verantwortung dafür mit in erster Linie die englische Politik,
die unter der Formel der Erhaltung des europäischen Gleichgewichts an-