Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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rechnen, daß hinter den Stellungen an der Aisne mehrere ähnliche Ver- 
teidigungslinien errichtet sind, und der Krieg an der gewaltigen östlichen 
Front mehrere Monate dauern wird. 
Alles das sagt die „Times“ unter Voraussetzung des für unsere 
Feinde denkbar günstigsten Verlaufs der Dinge, unter der Voraussetzung 
einer Niederlage der Deutschen im Westen und eines entscheidenden 
Sieges der Russen im Osten. Wir wissen aber, wie wenig begründet eine 
solche Voraussetzung ist. Was soll es aber dann mit den Nerven der 
„Times“-Leser werden, wenn sie das erst erkennen. (Tgl. Rdsch., 6. Okt.) 
Deutschland und England. 
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" vom 6. Oktober schreibt: 
„Die von uns in Nr. 240 unterm 3. d. M. aus der „Kopenhagener 
Nationaltidende“ wiedergegebenen Aeußerungen des Staatssekretärs 
v. Jagow über Englands Spiel mit der belgischen Neutralität haben den 
britischen Unterstaatssekretär Acland zu einer durch „Reuters Bureau“ 
mit folgendem Telegramm verbreiteten Erwiderung veranlaßt: 
„Jagow sagte: England hat Belgien zum Widerstand angespornt und 
hat damit zu verstehen gegeben, daß Belgien ohne solches Anfeuern sich an 
Händen und Füßen hätte binden lassen. Es müsse genügen, zu sagen, 
daß solche Schmähreden gegen einen tapferen Feind zu unterlassen seien, 
aber eine offizielle Erklärung, die diese Woche von der belgischen Reaierung 
erfolgt ist, klingt überzeugend genug dafür, daß Belgien keinerlei Anspor- 
nung Englands oder jemand anderes gebrauchte, um seine Rechte zu be- 
haupten. Die Erklärung, sagt: Seit der Krisis von Agadir habe Belgien 
nicht gezaudert, die fremden Gesandten zu informieren, daß kein Zweifel 
an der Absicht bestehen konnte, der Neutralität Belgiens mit allen Mitteln 
Achtung zu verschaffen. Jagow sagte ferner, Deutschland habe die bel- 
gische Neutralität nicht vor der Nacht vom 3. zum 4. August verletzt, wäh- 
rend Grey bereits am 2. August dem französischen Botschafter die Unter- 
stützung der britischen Flotte zugesagt habe für den Fall, daß die deutsche 
Flotte französische Küsten angriffe. Jagow GErschweigt die Tatsachen, daß 
Grey bereits am 31. Juli die französische und die deutsche Regierung 
befragte, ob sie bereit wären, die belgische Neutralität zu achten, und daß 
Frankreich unverzüglich die gewünschte Zusicherung gab. Jagow aber er- 
widerte am 31. Juli, er könne nicht antworten; schließlich hat die Antwort 
„Nein“ gelautet. Jagom erklärte ferner, daß Grey am 1. August dem deut- 
schen Botschafter gegenber abgelehnt habe, die Neutralität Englands zu 
versprechen, falls Deutschland die Neutralität Belgiens zusichere. Diese An- 
regung ging nicht von der deutschen Regierung aus. Es genüge, an die 
Rede Greys im Unterhause zu erinnern, worin er sagte: 
„Ich wünsche ein Wort hinzuzufügen über perfsönliche Anregungen, 
die der Botschafter unabhängig von Mitteilungen seiner Regierung machte. 
Der Botschafter wirkte für den Frieden, aber er, wie andere gleich ihm, 
besaß keine wirkliche Autorität in Berlin. Das ist eine Erklärung für die 
Erfolglosigkeit unserer Bemühungen für den Frieden.“ 
Der Unterstaatssekretär Acland geht in diesen Bemerkungen um die 
Hauptsache herum. Nicht für den Fall einer Verletzung der Neutralität 
Belgiens, auch nicht für den Fall eines deutschen Vorgehens auf Paris hatte 
der Staatssekretär Grey das Eingreifen Englands zur Unterstützung 
Frankreichs in Aussicht gestellt, sondern lediglich für den Fall eines deut-
	        
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