Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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schen Angriffs gegen die Südküste des Kanals. Dieser Umstand ist von 
wesentlicher Bedeutung. Er bildet den Beweis dafür, daß Frankreich wie 
Belgien den britischen Kanalinteressen geopfert werden. 
Acland behauptet, Belgien sei nicht von England angespornt worden. 
Wir verweisen ihn auf Aktenstücke der englischen Regierung. Nach Nr. 153 
des englischen Weißbuches erbat die belgische Regierung die diplomatische 
Intervention der englischen Regierung zum Schutz der Integrität Belgiens. 
Nach Nr. 155 antwortete England mit der Aufforderung, Belgien solle sich 
mit allen Mitteln, über die es verfüge, etwaigen Versuchen Deutschlands 
widersetzen, Belgien zur Preisgabe seiner Neutralität zu bewegen. Gleich- 
zeitig versprach England Hilfe. Damit ist die Anspornung Belgiens durch 
England erwiesen. 
. Die Frage des Botschafters Fürsten Lichnowsky an Grey, ob dieser die 
Neutralität Englands versprechen könne, falls Deutschland die Neutralität 
Belgiens zusichere, war eine dienstliche Frage. Die deutschen Botschafter 
sind in solchen Fällen das Sprachrohr ihrer Regierung. Glaubte Grey, 
daß der Botschafier diese Frage nur für seine Person stellte, so war es 
für den britischen Staatssekretär, bei aufrichtigem Friedenswillen, um so 
leichter, eine Zusicherung über Englands Neutralität zu geben. Grey ist 
aber dieser Zusicherung. auch in der unverfänglichen Form einer persön- 
lichen Rückäußerung auf eine persönliche Frage, ausgewichen. Er wollte 
sich nach keiner Seite binden; es fehlte ihm auch der Wille zum energischen 
Handeln, vor allem zu einer ernstlichen Einwirkung auf Rußland. Diese 
absichtliche Unentschlossenheit in der Haltung Englands ist für den Ausbruch 
des Krieges verantwortlich, nicht ein Mangel an Friedenswillen bei der 
deutschen Politik, geschweige eine deutsche Militärpartei, an die englische 
Minister nur auf Grund ihrer gänzlichen Unkenntnis deutscher Verhältnisse 
glauben können. 
Nach einer Londoner Meldung hat der britische Premierminister 
Asquith in einer Ansprache in Cardiff erklärt: 
„Unsere Regierung richtete 1912 eine Mitteilung an die deutsche 
Regierung über unsere künftehen Beziehungen zu Deutschland. In dieser 
Mitteilung wurde erklärt, daß England Deutschland nicht angreifen, noch 
einen Angriff auf Deutschland unterstützen werde, den Deutschland nicht 
herausforderte. Dies genügte der deutschen Politik nicht. Deutschland 
wünschte, daß wir noch weitergehen und uns zur Wahrung strengster 
Neutralit verpflichten sollten, für den Fall, daß Deutschland sich in einem 
Kriege befände. Auf dieses Ersuchen konnte nur eine Antwort erfolgen, 
und die englische Regierung gab sie.“ 
Diese „Enthüllung" des Herrn Asquith ist zeitgemäß. Englands Be- 
teiligung an dem gegenwärtigen Kriege, der nicht von Deutschland, sondern 
von Rußland provoziert worden ist, beweist, wie richtig die deutsche Regie- 
rung den Wert englischer Zusicherungen einschätzte, indem sie die damalige 
Erklärung der englischen Regierung als ungenügend ansah. Die Aeuße- 
rung des englischen Premierministers wirft aber auch wieder ein bezeich- 
nendes Licht auf die Behauptung der englischen Regierung, daß lediglich 
die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland das Eingreifen 
Englands in den Krieg herbeigeführt habe. Wenn, nach den bekannten 
Erklärungen Sir. E. Greys im Unterhause und dem Fürsten Lichnowsky 
gegenüber, Zweifel in diesem Punkte überhaupt noch bestehen konnten, 
so erfährt nunmehr die Welt auch noch aus dem Munde der kompetentesten 
 
	        
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