Mit tiefer Rührung hielt ich dies schlichte und doch so beredte
Zeugnis einer ergreifenden Episode aus der Jugend meines Groß-
vaters in Händen. Verklungene und nun längst versunkene Zeiten
steigen aus den vergilbten Blättern wieder auf und künden von der
tiefen Liebe zweier Fürstenkinder und ihrem schmerzvollen Entsagen.
Ich bewahre das Büchlein als ein teures Heiligtum.
II.
Das schönste Verhältnis, das man sich zwischen Großmutter und
Enkel nur vorstellen kann, hat mich mit Kaiserin Augusta verbunden,
es war, möchte ich sagen, so innig, wie man es in Romanen liest.
Die Kaiserin, die im allgemeinen einen zeremoniösen Eindruck machte,
oft sogar vor Menschen etwas Formelles, ja Steinernes an sich hatte,
war in kleinem Kreise und nun gar unter vier Augen warm und
herzlich und liebevoll besorgt. Nicht nur, daß sie mich außerordentlich
verzogen und vorgezogen hat, wie das die richtigen alten Großmütter
so gern tun, hat sie sich auch um meine geistige Entwickelung in der
gütigsten Weise bekümmert. Wenn Professor Werder zum Literatur-
unterricht da war und ein Drama mit verteilten Rollen gelesen
wurde, kam sie immer ins Schulzimmer und hörte voller Interesse
zu, die weimarische Prinzessin, die Goethe noch persönlich gekannt
hat und auch nach ihrer Bermählung in Briefwechsel mit dem großen
Olpmpier geblieben ist, hat sie nie verleugnen können. Kam ich zu
den Ferien aus Kassel nach Hause, dann mußte ich ihr meine Zeug-
nisse zeigen und ihr alles erklären, die Unterrichtsfächer, die Lehrer
und die Mitschüler. Am meisten hat sich meine Großmutter wohl
in der letzten Zeft vor meiner Einsegnung um mich bekümmert, wo-
von ich bereits sprach, sie hat damals vielem, was mein kindlicher
Geist nicht verstanden hatte, erst Leben und Farbe gegeben. In ihrem
festgegründeten Glauben, mit ihrem praktischen Christentum und ihrem
steten Zurückgehen auf die Berson des Herrn ist sie — gleich meiner
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