Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Ein unvergeßlicher Augenblick war die Vereidigung der Rekruten 
des Regiments, die in der Eingangshalle zum großen Treppenhause 
im Schloß in Gegenwart des Kaisers stattfand. Hoch über den 
versammelten Soldaten und dem Treppenabsatz, umrauscht von den 
zerschossenen Fahnen des Regiments, stand der Oberste Kriegsherr, 
weiter rückwärts, etwas erhöht auf dem nächsten Treppenabsatz, die 
Kaiserin, ihr zur Seite ich. Machtvoll und feierlich stieg der Schwur 
des Fahneneides zu der ehrfurchtgebietenden Gestalt des greisen 
Kaisers empor. Nach dem Schwur einige kurze, knappe Ermahnungen 
des Kaisers an die fsungen Krieger, dann die Erwiderung des 
Regimentskommandeurs mit dem Treugelöbnis für das ganze Regi- 
ment und drei donnernden Hurras, am Schluß „Heil dir im Sieger- 
kranz“. Auf den Gesichtern aller Teilnehmer an der Feier spiegelte 
sich tiefe Ergriffenheit. Zum Abschied reichte der Kaiser, selbst bewegt, 
dem Regimentskommandeur dankend die Hand und ebenso dem 
General v. Goeben. Ich sah in dem Augenblick die Hand des 
Katsers in der seines Feldherrn ruhen, des Siegers von St. Ouentin, 
der ihm die Kaiserkrone mit hatte erstreiten helfen. Auch mir wurde 
es feucht vor den Augen. Meine Großmutter flüsterte mir ins Ohr: 
* St. Ouentin-Versailles-Koblenz, das merk dir für dein Leben!“ 
Ich habe es nicht vergessen. 
# * k 
So manchen Sonntag habe ich in meiner Bonner Zeit bei meinen 
Verwandten in Darmstadt zugebracht, ich fuhr dann meist Freitag 
nachmittag, da Sonnabend kollegfrei war, fort, und kam Montag 
früh zurück. Schon die Fahrt durch das liebliche Rheintal in den 
verschiedenen Jahreszeiten war ein hoher Genuß für mich, noch schöner 
aber sollte es immer in Darmstadt werden. Großherzogin Alice von 
Hessen-Darmstadt, die Gemahlin des Großherzogs Ludwig, war eine 
Schwester meiner Mutter, klug, tief religiös, unendlich liebevoll und 
gütig, für mich gleichsam eine zweite Mutter. Ich fühlte mich wie 
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