Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Publikums bekannt, den Fürstlichkeiten, die die Loge betraten, eine 
Ovation darzubringen, diese müßte mit Front gegen das Publikum 
regungslos entgegengenommen werden. Und so geschah's, laute Eljen— 
rufe begrüßten uns. Es wurde ein ungarisches Schauspiel der Gegen— 
wart aufgeführt, in welchem eine bei den Budapestern sehr populäre 
schöne Schauspielerin namens Blahané, die vortrefflich sang, auftrat. 
Sie brachte im Laufe des Stücks ein wunderhübsches, in Ungarn 
viel gesungenes Volkslied „Mädchen von Körösch“ zum Vortrag. 
Dies sollte eine Huldigung für den Kronprinzen sein, dessen Lieb- 
lingslied es war und das er oft vor sich hin pfiff oder sang. Das 
Publikum war begeistert, und der donnernde Beifall der Zuschauer 
veranlaßte die Blahané zu mehrfacher Wiederholung. Es war inter- 
essant, die leicht entzündbare Begeisterungsfähligkeit des intelligenten 
ungarischen Bolkes zu beobachten, dessen auf heißer Baterlandsliebe 
begründeter Nationalstolz es zu den höchsten Leistungen befähigt. Ich 
stand unter dem Eindruck, daß es bet richtigem Verständnis für seine 
Eigenart und Eingehen auf seine Ziele nicht schwer zu leiten sein müsse. 
In späteren Jahren habe ich mehrfach diese Frage mit meinem und 
meines Baterlandes treuestem ausländischen Greunde, dem Botschafter 
von Szögyéni, besprochen. Er gab mir darin völlig recht, bemerkte 
aber einschränkend, der westliche Barlamentarismus sei für die Ungarn 
ein absoluter Berderb. Er habe auch dem großen Andrasspy viel 
Berdruß bereitet und ihm das Leben schwer gemacht. Man müsse 
sich eben klar sein, daß die mannigfachen, dem Nichtungarn oftmals 
völlig unverständlichen parlamentarischen Ereignisse, wie plötzliche Mi- 
nisterkrisen, Lärmszenen u. a., auf die alten, noch aus dem Mittelalter 
herstammenden Rivalitäten der führenden ungarischen Magnatenfami- 
lien zurückzuführen seien, die an Stelle des Turniers oder der Privat- 
fehde vergangener Jahrhunderte den Kampf nunmehr in die Arena 
des Parlaments verlegt hätten. Hlerbei sei die Rolle der ungari- 
schen Frauen nicht zu unterschätzen, die durch ihr leidenschaftliches 
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