Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

tierten mich über die Zarenfamilie und über die bevorstehenden Fest- 
lichkeiten. Auf dem Bahnhof in Petersburg, wo icch am Nachmittag 
des 10. Mai ankam, war der übliche Empfang, auch sämtliche Groß- 
fürsten waren erschienen, und Großfürst Wladimir hieß mich im Auf- 
trag des Zaren willkommen. Er brachte mich bei Schlackerwetter 
und Regen (Rasputiza) nach dem Winterpalais, wo ich von den 
Majestäten empfangen wurde. Ich benutzte die Gelegenheit, um dem 
Zaren sogleich einen Brief meines Großvaters zu überreichen. 
Als ein Zeichen besonders zarter Aufmerksamkeit seitens des Zaren 
empfand ich es, daß er mir zu meinem Aufenthalt das Ouartier 
genau unter demjenigen hatte anweisen lassen, in welchem mein Groß- 
vater gewohnt hatte, wenn er Betersburg besuchte. Der Blick aus 
den Genstern fiel auf den großen Blatz vor dem Winterpalais, die 
Admiralität sowie auf ein Stück Newakai. Auf dem Platz war, 
durch eine hohe Umzäunung gegen Blicke Neugieriger geschützt, auf 
Befehl Alexanders III. ein Garten angelegt worden, in dem sich die 
Kaiserliche Familie ungestört ergehen konnte. Die Zimmer waren 
wohnlich im Geschmack der dreißiger Jahre eingerichtet, nur die starke 
Heizung mit heißer Luft verursachte Unbehagen, da die Fenster, die 
vom Winter her noch verklebt waren, mit Ausnahme eines kleinen 
Scheibchens nicht geöffnet werden konnten. Ein alter dänischer 
Kammerdiener der Zarin, der deutsch und russisch konnte, hat vor- 
trefflich für mich gesorgt. Die Verpflegung, vor allem was Tee und 
Gebäck sowie Suppen und Fischspeisen der rein russischen Küche be- 
traf, war ausgezeichnet. 
Bei den Festlichkeiten fiel es mir leicht, mit der Katserlichen 
Famille bekannter zu werden, da alle mir mit der sprichwörtlichen 
russischen Kiebenswürdigkeit und Ritterlichkeit entgegenkamen. Die 
männlichen Mitglieder der Familie boten einen imposanten Anblick, 
da sie meist das durchschnittliche Größenmaß überschritten, sie alle 
aber wurden von der gewaltigen, robusten Gestalt Zar Alexanders III. 
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