Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

lich. Anfang März übernahm der Geheime Medizinalrat Professor 
Gerhardt in Berlin die Behandlung der Krankheit, die er als eine 
polypöse Verdickung des Stimmbandrandes diagnostizierte. Nun be- 
gannen für meinen armen Vater tägliche Quälereien, da Geheimrat 
Gerhardt versuchte, mit Hilfe von Glühdraht und Kneifzange die 
Geschwulst zu beseitigen. Anläßlich des 90. Geburtstagsfestes meines 
Großvaters, das meinem Vater viele Repräsentationspflichten auf- 
erlegte, wurden diese Operationen auf acht Tage ausgesetzt, dann 
wieder zehn Tage lang vorgenommen. Am 13. April fuhr mein Bater 
nach Ems, um dort eine Kur zu versuchen. Als er am 105. Mai 
zurückkehrte, mußte Gerhardt feststellen, daß diese nichts geholfen hatte 
und die Geschwulst bedeutend gewachsen war. 
Nunmehr beantragten Geheimrat Gerhardt und Generalarzt 
Dr. Wegner, der Leibarzt meines Baters, die Heranztiehung eines 
Chirurgen, als den man Geheimrat v. Bergmann in Berlin wählte. 
Es fand darauf eine Konsultation statt, bei der v. Bergmann und 
Gerhardt bereits den Verdacht auf Krebs aussprachen und ersterer 
den dußeren Kehlkopfsschnitt vorschlug. Alle drei Arzte aber bean- 
tragten, einen namhaften Larpngologen hinzuzuziehen, um eine Be- 
stätigung der Diagnose zu gewinnen. Von den drei ausländischen 
Speztalärzten, die in Vorschlag kamen, einigte man sich einstimmig 
auf den von Dr. Wegner vorgeschlagenen englischen Larpngologen 
Dr. Morell Mackenzie. Einige Tage später fand eine neue Konsul- 
tatson statt, an der außer den schon genannten Arzten sowie Dr. v. Lauer 
und Dr. Schrader auf Befehl meines Großvaters auch der Berliner 
Professor Tobold teilnahm. Da auch Tobold die Krankheit als Krebs 
bezeichnete, wurde von den Arzten die operative Entfernung des kranken 
Stimmbandstückes — nicht die völlige Herausnahme des Kehlkopfes — 
beschlossen. Als einzige nachteillige Folge der Operation, die man 
angesichts des schweren HLeidens mit in Kauf nehmen mußte, stellten 
die Arzte Rauhelt und Hetlserkeit der Stimme in Aussicht. Mein 
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