Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

seiner Erfahrungen aus der Stadtmission eine niederschmetternde 
Schilderung von der Not in den Berliner Vorstädten, während ich 
selbst mich mit einigen Worten für die Pflege des christlichsozialen 
Geistes einsetzte. Aus dieser Sitzung machte die mir übelwollende 
Presse die sogenannte „Waldersee-Bersammlung"“ und überhäufte so- 
wohl den Grafen wie vor allem meine Frau und mich mit maß- 
losen Berdächtigungen, Berleumdungen und Angriffen. Schmerzlich 
war es mir, daß Fürst Bismarck sich in diesem Falle, der mit Politik 
nichts zu tun hatte, auf die Seite meiner Gegner stellte. Der Brief- 
wechsel, den ich deswegen mit dem Kanzler geführt habe, ist in- 
zwischen bekannt geworden. Alsbald nach seiner Rückkehr nach Berlin 
hat dann auch die Aussöhnung stattgefunden, eine „Verstimmung“, 
wie Fürst Bismarck anzunehmen schien, hat weder dieser Borgang 
noch der betreffs der geplanten Proklamatfon an die Bundesfürsten 
bei mir zurückgelassen. 
Allen Gegenbestrebungen und Ouertreibereien zum Trotz wurden 
die Mittel für die Stadtmission aufgebracht, so daß den Armen 
Berlins ausgiebig geholfen werden konnte. Und aus der Unterstütung 
der Stadtmisston ging die Gründung des „Evangelisch-kirchlichen 
Hilfsvereins" hervor, der unter der Leitung des trefflichen Oberhof- 
meisters Freiherrn v. Mirbach Unvergängliches auf dem Gebiet des 
Kirchen= und Kapellenbaues geleistet hat. Nicht sowohl der äußere 
Erfolg unserer guten Sache, als vor allem die zahlreichen rührenden 
Dankesbriefe aus Arbeiterkreisen waren uns ein schöner Lohn für 
die erlittenen Kränkungen. 
XII. 
Die Tage des großen Kaisers neigten sich dem Ende zu. 
In weiter Ferne schien die Zeit zu liegen, da er auf der Jagd beim 
Fürsten Stolberg in Wernigerode noch eine große Strecke gemacht, 
außerordentlich angeregt und unterhaltsam gewesen war — und doch 
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