VI.
Bald nach der Ubersiedlung in das Neue Palais erfolgte ziem-
lich überraschend die Entlassung des Staatsministers von Buttkamer.
Sie löste in der politischen Welt rechts Erbitterung, links Freude,
allgemein große Erregung aus. Zahllos waren die umherschwirren-
den Gerüchte und Kombinationen, die sich schließlich dahin verdichteten,
meine Mutter sei schuld an diesem Ereignis. Auf Grund meiner
Kenntnis über die Vorgänge, die sich hinter den Kulissen abgespielt
hatten, kann ich erklären, daß diese Annahme falsch ist. Nicht meine
Mutter hat „hinter dem Rücken des Fürsten Bismarck“, wie es hieß,
durch ihre Intrigen den Abgang Puttkamers herbeigeführt, sondern
im Gegenteil hat der Kanzler in der Hoffnung, die von ihm gearg-
wöhnten Widerstände meiner Mutter zu überwinden und ihre Zu-
neigung zu gewinnen, den ihr nicht genehmen Minister fallen lassen.
Meine Mutter hat sehr unter diesen Gerüchten gelitten und mir ans
Herz gelegt, bei geeigneter Gelegenheit es Puttkamer wissen zu lassen,
daß sie nichts mit seinem Abgang zu tun gehabt habe.
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Mehrmals kam der Justizminister Friedberg zum Besuch nach dem
Neuen Palais heraus. Er war, wie ich bereits geschildert habe, ein
langjähriger, intimer Freund und Berater meiner Eltern, dem ich
oft in ihrem Hause begegnet bin, und den ich sehr verehren und
schätzen gelernt habe. Er besaß unser aller vollstes Vertrauen, da
er eine durch und durch vornehm denkende, edle Natur war. Auf
einem Spaziergang, den ich mit ihm auf der Terrasse des Neuen
Balafs unternahm, machte er mich darauf aufmerksam, daß mir im
Falle des Ablebens meines Baters ein inhaltsschweres Schriftstück
vorgelegt werden würde, das ich reiflich überdenken möge. Ich will
hier gleich vorweg bemerken, um was es sich handelte. Es war ein
verstegelles Schreiben König Frfedrich Wilhelms IV., auf dessen Um-
schlag sich das Stiegel und der Lesevermerk meines Großvaters und
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