Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Heute morgen fuhr ich in die Festung zum Grabe des seligen Kaisers und 
glaubte Deinen Intentionen nachzukommen, indem ich auf seinen Sarkophag 
einen Kranz niederlegte. Ich muß gestehen, daß mich ein Gefühl der Wehmut 
momentan beschlich, als ich an der Grabstätte des stets für uns freundschafe- 
lich gesinnten und so liebenswürdigen Monarchen stand! — Nach Abmachen 
der verschiedenen Bisiken begab ich mich in der preußischen Gala in die Ge- 
mächer hinauf, in denen Du zuletzt gewohnt, an der Ecke nach der Newa 
hinaus — welche gerade über den meinigen liegen — und übergab dann die 
Ordensinsignien sowie Dein Allerhöchstes Schreiben in Anwesenheit Sr. 
Masestät des Kaisers und der Familie. Hierauf befahl der Katser mir, ihn 
zu begleiten, und schritt derselbe alle in den verschiedenen Sälen aufgestellten 
Truppendeputationen ab. Dieselben machten einen ausgezeichneten Eindruck, 
und konnte man sich dem Gedanken nicht verschließen, daß in der Menge die 
russische Uniform doch ganz gut aussieht. Am meisten heimelte mich das 
egiment Bavlowsk an mit den Grenadiermützen. Von jedem Garde- 
regiment und den in der Stade stehenden Linienregimentern waren 2 Züge 
mit der Fahne erschienen. Schon am Morgen war ich verschtedenen Ab- 
teilungen in den Straßen begegnet, die Fahnen nach dem Winterpalais 
brachten. Die Truppen hatten graue Mäntel, Lederzeug — eine unlackierte 
Tasche an der rechten Seite — und über denselben ein in Kreuzform über- 
einander geschlagenes Baschlik. Haltung und Griffe auf der Straße waren 
ebenso schlapp und bummelig als stramm und gut in den Sälen, wo die 
ruppen ohne Mantel standen. Ganz süperbe sahen die Deputationen der 
Chevaliers Garde und Garcle à cheval aus. Die Leute wie aus dem Ei 
gepellt und schlank und gerade wie die Lichter. Sehr kühn und ansprechend 
machten sich auch die Matrosenabkeilungen, welche zur Auszeichnung für den 
Krieg das Georgenband um die Mütze tragen. Nachdem die Aufstellung der 
Truppen besichtigt war, kehrken wir in die Versammlungszimmer zurück, und 
hatte ich einen Augenblick Zeit, mich schnell in die russische Uniform lzu 
werfenl. Als ich wieder erschien, keilte mir Se. Majestät der Kaiser in den 
liebenswürdigsten Ausdrücken mit, daß er, erfreut durch meine Anwesenheit 
und durch Deine Attention, mich zum Chef des ersten Regimenks der 22. Divi- 
sion, Wiborg No. 8, gemacht und dies im Tagesbefehl an die Truppen ver- 
kündigt sei. Man rangierte sich nun zum Zuge, wobei mir die Ehre zuteil 
ward, J. Majestät die Königin von Griechenland zu führen. Wir gingen 
durch alle Säle durch, während die Musikkorps die Nationalhymne an- 
stimmten, nach der Schloßkapelle, woselbst die kirchliche Feier stattfand. 
Nach einem längeren, schönen Gottesdienst trat der kleine Thronfolger 
vor und verlas mie lauter, fester, energischer Stimme den Eid. Die Majestäten 
und wir alle waren kief ergriffen, und liefen dem Kaiser die hellen Tränen 
während der Feit hinab. Nach dem Schlußgesang ging der Zug in einen ande- 
ren Saal, wo die Fahnen alle versammelk waren. Nachdem Ihre Wajestät 
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