90 Neuntes Kapitel
es für selbstverständlich, daß ein Volk, das so siegt, auch die Früchte
des Siegs pflücken und seine Zukunft militärisch und wirtschaftlich
unbedingt wahren muß. Das Volk will keinen Verständigungsfrieden,
der dem Volkskörper jahrelanges Elend und Siechtum unfehlbar bringt.
Es will Ersatz für die Opfer an Gut und Blut; es will Sicherung des
Reiches nach Westen, damit Flotte und Handel freie Ausfahrt zum
Weltmeer haben, und unser großes Industriegebiet nicht wehrlos dem
Gegner offen liegt. Es will Ansiedelungsland im Osten und Schutz
unserer Ostmark gegen feindlichen Einbruch durch starke militärische
Grenzstellung. Es will schließlich Barentschädigung und Bereitstellung
von Rohstoffen, damit die Industrie ihre Arbeit wieder aufnehmen
kann. Es verlangt auch, daß das leider neu gegründete Königreich Polen
so gebändigt wird, daß es nicht als ein neuer, begehrlicher, feindlicher
Nachbar sich unseren Grenzen vorlagert.
Diese allgemeine Stimmung kommt von Tag zu Tag klarer zum
Durchbruch. Sie zeigt sich in dem ständigen Anwachsen der deutschen
Vaterlandspartei, deren Ziel, den Siegeswillen, wo er eingeschlummert
ist, zu wecken, sich deckt mit den militärischen Anordnungen. Wunsch
und Gebet des Volkes gehen dahin, daß ein Mann aufstehen möge,
der die Flaumacher zum Teufel jagt. Ein solcher Mann im Lande würde
von dem Volk hinter der Front alles verlangen und erreichen können.“ —
Der Mann blieb uns versagt. Die Kräfte der Zersetzung konnten
fast ungestört weiter arbeiten an der Vergiftung des Volkskörpers.
9. —
Die Brest-Litowsker Verhandlungen — Der Berliner
Januarstreik
Mit größter Befriedigung hatte die sozialdemokratische Mehrheits-
presse die Erklärung der Delegationen der Mittelmächte in Brest-Litowok
vom 2s. Dezember aufgenommen. Bekanntlich war darin die Bereit-
willigkeit ausgedrückt, sofort einen Frieden ohne gewaltsame Gebiets-
erweiterung und ohne Kriegsentschädigungen zu schließen unter der Vor-
aussetzung, daß alle kriegführenden Staaten diesen Grundsatz sich vor-
behaltlos innerhalb einer angemessenen Frist zu eigen machten. Allge-
mein wurde anerkannt, das deutsche Friedensprogramm sei nun völlig
klargestellt „„Vorwärts“ 27. Februar; „Münchener Post“ 27. Dezem-