Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Wilsons „staatsmännische Mäßigung“ 95 
Presse erneut die Aufhebung des § 153 der Gewerbeordnung (Schutz 
der Arbeitswilligen bei Streiks). Nachdem die zweite wichtige Forderung, 
Durchführung der preußischen Wahlreform, zugestanden war, beeilten 
sich die Bremer Linksradikalen, sie zu entwerten. Ihr Blatt, die „Ar- 
beiterpolitik“ 1), bekannte sich (22. Dezember) zum Antiparlamentaris- 
mus Leninscher Observanz. „Im Parlament sind es nicht die Massen, 
sondern die Führer, die handeln und beschließen, Führer, die nur zu 
oft andere Interessen bekommen als die Massen.“ Wirkliche Volks- 
herrschaft könne nie durch Vertreter im Parlament bewirkt, höchstens 
unterstützt werden. Es ist auffallend, wie nahe sich hier die weiter 
oben wiedergegebenen Gedankengänge der unabhängigen „Leipziger 
Volkszeitung“ mit denen des Bremer deutsch-bolschewistischen Blattes 
berührten. Vorläufig war indes diese Liebe einseitig. Denn am . Januar 
schrieb die „Arbeiterpolitik“ in der ihr eigenen Auedrucksweise von den 
Unabhängigen: „Die Senilität glotzt ihnen aus allen Poren.“ 
Inzwischen nahmen die Friedensverhandlungen in Brest ihren Fort- 
gang. Die Entente dachte gar nicht daran, der Einladung zur Teilnahme 
Folge zu leisten. Das hinderte den „Vorwärts“ (10., 18. und 19. Ja- 
nuar) nicht, in Besprechung der Rede Wilsons hierzu, die er ein „Muster 
staatsmännischer Mäßigung“ nannte 2), darzulegen, daß sich in der 
Entente die Stimmung für einen allgemeinen Frieden entwickele, wäh- 
rend bei ung neuerdings das Schicksal des Volkes durch falsche Vor- 
stellungen von der Möglichkeit einer dauernden Unterwerfung der 
Milliarde unserer Feinde unter das deutsche Schwert gefährdet werde. 
Die Unterhändler der Mittelmächte müßten den Frieden mit Rußland 
zustande bringen, denn die russische Delegation habe bioher keinen 
  
  
1) Hauptmitarbeiter und geistiger Leiter war Sobelsohn (Radekl), den die 
„Ehemnitzer Volksstimme“ (11. 1.) vorbehaltlos als „Lumpen“ bezeichnete. Am 
4. 2. 1913 hatte die polnische sozialdemokratische Partei, der Radek früher ange- 
hörte, kategorisch von der deutschen Partei verlangt, daß sie ihm, dem „wegen 
Dieberei ausgeschlossenen Subjekt“, die Tätigkeit in der deutschen Parteijournalistik 
unterbinde. Der Parteivorstand war von Anfang an gegen Radeks Aufnahme 
in die deutsche Partei gewesen, aber die Bremer Organisation hatte sich troß der 
polnischen Vorkommnisse hierzu bereit erklärt. Darauf nahm der Parteitag 1913 
mit rückwirkender Kraft einen Antrag an, daß Personen, die aus einer ausländischen 
Bruderpartei wegen ehrloser Handlungen auzgeschlossen seien, nicht in die deutsche 
Partei ausgenommen werden dürften. 
*) Der „Volkswille“ (Hannover) nannte Wilsons Bedingungen „unverschämt 
und heuchlerisch“; das „Hamburger Scho“ (11. 1.) stellte fest, sein Friedensprogramm 
sei auf der Niederlage der Mittelmächte aufgebaut.
	        
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