Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Nachgiebigkeit der Regierung 5 
eine vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit — benutzen wollte, um 
die Macht der staatsfeindlichen Bewegung ein für allemal zu brechen. 
Erlaubte man der Partei, die Auseinandersetzung zwischen ihrem sozia- 
listisch-republikanischen Programm und der vaterländischen Stimmung 
ihrer Wähler zu umgehen, begnügte man sich mit ihrem interimistischen 
— im Augenblick für die äußere wie für die innere Politik gewiß wert- 
vollen — Verzicht auf Widerstand gegen die notwendigsten Kriegs- 
maßregeln, so mußte man damit rechnen, daß sie aus dieser gefährlichen 
Krisis in alter Geschlossenheit, ja gestärkt durch neue Eroberungen her- 
vorgehen und — wenn nicht früher, so sicher nach Friedensschluß —. 
leicht die Mittel finden würde, den Arbeitermassen durch verhetzende 
Aufrollung wirtschaftlicher Fragen die kaum erwachte nationale Ge- 
sinnung gründlich auszutreiben. 
Zwang man sie dagegen, Farbe zu bekennen, so drängte man sie 
vor die Entscheidung: entweder ihren Parteistandpunkt aufzugeben, 
dessen dogmatischer Radikalismus in seiner bestechenden Konsequenz 
und seiner jeden Wettbewerb von vornherein überbietenden Unversöhn= 
lichkeit zugleich ihre Werbekraft und ihre Gefahr enthielt, — oder 
ihre Anhänger durch schwere Beleidigung ihrer im Augenblick über- 
wiegenden vaterländischen Gefühle von sich zu sioßen. Alles kam dar- 
auf an, die sozialdemokratische Partei in eindrucksvoller Weise, ohne 
Möglichkeit des Ausweichens, vor die Frage zu stellen, ob sie grund= 
sätzlich ihren Frieden mit der bestehenden Staats= und Gesellschafts- 
ordnung machen wollte oder nicht. Freilich war zu berücksichtigen, 
daß der Eindruck nationaler Einigkeit im Auslande nicht gestört wer- 
den durfte. Vielleicht mußte der Zeitpunkt für eine große, weithin 
sichtbare politische Auseinandersetzung noch hinausgeschoben werden. 
Inzwischen aber war jede Gelegenheit wahrzunehmen, einzelne Glieder 
und Gruppen der Partei vor jene Frage zu stellen und dadurch den 
Auflösungsprozeß vorzubereiten. Andererseits bedurfte die patriotische 
Stimmung, die auch unter den Anhängern der Sozialdemokratie er- 
freuliche Kraft gewonnen hatte, aufmerksamster Pflege. Hierauf das 
Instrument der Presse abzustimmen, ihm den einheitlichen Ton zu 
geben, mußte vornehmste Aufgabe der inneren Politik sein. — 
Die Haltung der Regierung gegenüber der sozialdemokratischen 
Partei war dauernd entgegenkommend. Gleich bei Beginn des Krieges 
war sie mit ihr in Verhandlungen eingetreten. Maßgebend hierfür
	        
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