Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

22 Zweites Kapitel 
Jedenfalls gab es jetzt eine Partei, die die „treuga dei“ nicht 
mehr anerkannte, dafür den Kampf gegen die Führung des im schwer- 
sten Daseinskampfe stehenden Volkes zum Grundsatz erhoben hatte. Das 
Gift, das den Willen und die Sinne der für den Bestand des Reiches 
Kämpfenden später lähmen sollte, war bereitet; es galt, es in sorg- 
sam abgewogenen Dosen unablässig zu verbreiten, damit, wenn die 
Jeit gekommen sein würde, der innerlich zerrüttete Organismus des 
Heeres dem Angriff von außen mit Sicherheit erliegen mußte. Am 
8. April 1916 forderte der Abg. Liebknecht von der Tribüne des Reichs- 
tages aus mit unverhüllten Worten zur Revolution auf. Der Präsi- 
dent entzog ihm das Wort; empörte Abgeordnete verhinderten ihn, 
weiterzusprechen. Der Abg. Gröber (Zentrum) bezeichnete Liebknechts 
Verhalten nicht als leichtfertigen, sondern bewußten Landesverrat und 
verlangte, daß der Reichstag solche Abgeordnete fallen ließe. Trotzdem 
brachte der Abg. Ledebour einen Antrag ein, der zur Mißbilligung der 
Haltung des Präsidenten und jener Abgeordneten durch den Reichs- 
tag aufforderte, jedoch abgelehnt wurde. 
In welcher Richtung Liebknecht arbeitete, zeigen die Schlußsätze 
eines Briefes, den er am 1. Juli 1916 „wegen der Strafsache“ gegen 
ihn an das Königliche Kommandanturgericht „Berlin“ richtete 1): „Die 
Verantwortlichen und Unverantwortlichen aber dieser Schande und dieses 
Krieges, die heute noch die Stirn haben, von dem Überfall auf Deutsch- 
land, von der Blutschuld anderer zu sprechen, werden sich der Rechen- 
schaft nicht entziehen, und die soziale Revolution, die das deutsche 
Volk von diesem fluchbeladenen Regime befreien wird, wird zugleich 
sein eine neue Revolution der Verachtung.“ 
Die ganze Tätigkeit Liebknechts war von Anbeginn derart folge- 
richtig, daß für mich kein Zweifel darin besteht, daß er, als er diese 
Sätze schrieb, genau wußte, wie weit seine und seiner Anhängerschaft 
— und hierzu rechnen in diesem Punkte, unbeschadet sonstiger Gegner- 
schaft, auch die Leute um Haase — Arbeit schon Früchte getragen 
hatte. Die Organisation zur Revolutionierung der Massen dürfte in 
ihren Grundzügen bereits fertig gewesen sein. Wenig später mußte 
der Abg. Dr. David (Mehrheitssozialist) fesistellen, daß die Liebknecht- 
  
1) Liebknecht hatte am 1. Mai auf dem Potsdamer Plah in Berlin demon- 
strierende Massen zum Kampf gegen die Regierung aufgehetzt. Er war verhaftet und 
wegen versuchten Kriegeverrats unter Anklage gestellt worden.
	        
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