Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Die Kriegszielfrage 31 
die Außerungen selbst sozialdemokratischer Publizisten zeigten, war es 
keineswegs nur der Alldeutsche Verband, der durch den Mund seines 
verdienstvollen Führers Claß Gebietserweiterungen zur Sicherung des 
Reiches forderte. 
Die Reichsregierung vertrat dem gegenüber zunächst den Stand- 
punkt, daß eine Erörterung der Kriegsziele nicht statthaft sei, da sie 
sofort zu einem Hervortreten der Parteirichtungen und der äußersten 
Gegensätze führen müßte, und somit ein verworrenes Bild des Volks- 
willens entstehen würde. Erst, wenn wir in diesem notgedrungenen 
Kampfe mit der Abwehr unserer Feinde am glücklichen Ende seien, 
werde die Reichsleitung ihre Friedensziele aufdecken, „dann sei dem 
freien Volk die Rede frei“. 
Nur schwer verbarg sich hinter diesen Worten (N. A. Z. v. 21. Fe- 
bruar 1915) die eigene Unsicherheit der Regierung, ihre Unfähigkeit, 
dem Volke ein großes Ziel zu zeigen, ihm statt schöner Redensarten 
Wirklichkeiten, greifbare Erfolge zu bieten. Es fehlte dem Reichs- 
kanzler an Verständnis dafür, daß Begeisterung nicht dauernd mit 
Worten am Leben zu erhalten, und daß das Verlangen des Volkes 
nach Klarheit über die Kriegoziele berechtigt sei. Unsere Gegner haben 
anders verfahren; von ihren am Tage des Kriegsbeginnes laut ver- 
kündeten Forderungen sind sie niemals abgewichen; ihren leitenden 
Staatsmännern gelang es, ihre Völker stets wieder hoch zu reißen, da 
sie ihnen greifbare Kriegsziele boten. Die deutsche Reichsleitung wußte 
nur — negativ — zum „Durchhalten“ zu mahnen. 
Dem vielfach — in der Presse, in Versammlungen, in Ansuchen 
großer Verbände und Vereinigungen — gestellten Verlangen nach Frei- 
gabe der Erörterung oder wenigstens Bekanntgabe der Kriegsziele gegen- 
über beharrte sie bei ihrer ablehnenden Haltung. Flugblätter und 
Denkschriften (wie die des Rechtsanwaltes Claß), die sich mit dieser 
Frage beschäftigten, wurden beschlagnahmt, JZeitungen — es waren 
naturgemäß meist solche der rechten Parteien — verboten. War es 
ein Wunder, wenn bereits jetzt patriotisch fühlende Männer mit Sorge 
auf diese Haltung der Regierung sahen, wenn sich die Befürchtung zu 
erheben begann, Außerungen stolzen Nationalgefühls und entschiedenen 
Siegeswillens seien „oben“ nicht gern gesehen? War man sich in 
der Reichskanzlei nicht dessen bewußt, daß gerade dieser Wille zum 
Sieg mit allen Mitteln hochgehalten, und das nationale Feuer stets
	        
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