Der erste größere Streik 45
daß die Reformen nicht sofort begännen. Auch hier bildete — leider
vereinzelt — die „Chemnitzer Volksstimme“ eine rühmliche Ausnahme:
(§. April). Der „Vorwärts“ wolle mit seiner Forderung nach einem
radikalen Sprung Deutschlands in die Demokratie der Entente den
Vorwand nehmen, für die Freiheit gegen die Autokratie zu kämpfen.
„Wissen wir nach 32 Monaten Krieg noch immer nicht, was wir von
den infamen Schwindelphrasen jener Raub= und gerschmetterungspoli-
tiker zu halten haben?“ Im Ernste sei doch der Entente die innere Ver-
fassung Deutschlands so gleichgültig wie uns das staatliche Leben auf
dem Mars. — Zu Deutschlands unermeßlichem Schaden hat sich die
demokratisch-pazifistische Gefolgschaft bis heute zu dieser klaren Erkennt-
nis des klugen Sozialdemokraten Heilmann nicht durchzuringen ver-
mocht. Auch damals stand er fast allein.
In wenigen Tagen war der günstige Eindruck, den die weitgehen-
den Zugeständnisse der Osterbotschaft gemacht hatten, verwischt. Hierzu
kam, daß am 16. April die Herabsetzung der Brotration in Kraft treten
sollte. Der nie rastenden Wühlarbeit der sozialdemokratischen Arbeits-
gemeinschaft, jetzt U S. P. D. und der Spartakusleute war es ge-
lungen, in einigen Hochburgen des Radikalismus, vornehmlich in Ber-
lin, den Einfluß der Gewerkschaftoführer und der besonnenen sozial-
demokratischen Parteipolitik fast ganz zu beseitigen. Von Mund zu
Mund ging die Parole, eine Art Generalstreik, verbunden mit großen
Umzügen, an dem kritischen Tage zu veranstalten. Besondero Munitions-
industrie und Transportgewerbe wurden davon ergriffen. In der Tat
legten am 16. April in Berlin gegen 100 doo Mann die Arbeit nieder.
Die Jahl erhöhte sich rasch. Allein beim Metallarbeiterverband waren
es über 200 doo. Es war die erste größere Arbeitseinstellung während
des Krieges. Ihre Entsiehung, Ursache und Gründe sind symptomatisch
für die späteren Streiks. Ich muß deshalb mit einigen Worten näher
darauf eingehen.
Unbestreitbar herrschte in der Arbeiterschaft der Industriezentren
— und nur sie kam in Frage — eine gewisse Gärung, ja Gereiztheit
wegen der mißlichen Ernährungslage. Aber anstatt deren Ursache dort
zu suchen, wo sie wirklich lag, in der Blockade unserer Feinde und
der sich jetzt schon zeigenden bureaukratischen Unzulänglichkeit der staat-
lichen Bewirtschaftung, glaubten die Arbeitermassen im allgemeinen,
daß die preußische Staatoregierung nicht genug getan habe, um be-