Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

46 Viertes Kapitel 
rechtigte Ansprüche des städtischen Proletariats an ein Mindestmaß 
von Lebenshaltung durch energisches Auftreten gegenüber den Land- 
wirten zu erfüllen. Die von je her durchweg landwirtschaftsfeindliche 
sozialdemokratische Presse hatte es sich keineswegs angelegen sein lassen, 
diese Gedankengänge richtigzustellen oder wenigstens beruhigend zu 
wirken, im Gegenteil, häufige Bemerkungen über Brotgetreide ver- 
fütternde Landwirte trugen nur zur Erhöhung der Unzufriedenheit bei. 
Der Plan, durch eine allgemeine Arbeitsniederlegung gegen diese, die 
Interessen der „werktätigen“ Bevölkerung angeblich vernachlässigende 
Ernährungspolitik der Regierung zu demonstrieren, begann Anklang 
zu finden. 
Auf dem so vorbereiteten Boden setzte die Arbeit der radikalen 
Führer ein. Bereits in den entscheidenden Versammlungen der Fabrik- 
vertrauensleute versuchten Haase und Ledebour, das politische Moment 
in den Vordergrund zu schieben. Man erklärte, der eigentliche Zweck 
der Arbeitseinstellungen müsse sein, die Regierung zu zwingen, sofort 
Friedensverhandlungen einzuleiten. Nur dadurch könne dem Volke 
geholfen werden. Auch die Entwickelung in Rußland wurde von den 
sozialdemokratischen Minderheitsdemagogen weidlich ausgenutzt. Man 
müsse doch den Nussen zeigen, daß man noch ein bißchen „revolutionären 
Geist“ besitze. Es gab manche Arbeiter, bei denen dieses Argument 
verfing. (In diesem Zusammenhange sei daran erinmert, daß sowohl 
die Mehrheitssozialisten wie besonders die sozialdemokratische Arbeits- 
gemeinschaft ldiese durch Vermittlung des Schweden Branting an den 
russischen Führer Tscheidsel telegraphisch ihre Glückwünsche der russischen 
Revolution übermittelt hatten. Branting meldete an Haase zurück, er 
habe das Telegramm weiterbefördert. „Nach dem glänzenden Siege der 
Revolution im Osten, der das neue Nußland ins Leben gerufen hat, 
weiht jetzt Ihre mächtige Rede das neue Deutschland der Demokra= 
tie ein.“) 
In Wirklichkeit trug das Vorgehen alle Merkmale des Landes- 
verrates an sich. Daß die Leitung der Bewegung in die Hände jener 
Männer, auch Dittmann und Vogtherr gehörten dazu, hinüberglitt, 
war äußerst bedenklich und ein Zeichen der beginnenden Radibalisierung 
der Massen, auch eines Teiles der gewerkschaftlich organisierten. Sehr 
bald ließ sich übersehen, daß es Absicht jener war, nicht nur die Ber- 
liner Arbeiterschaft nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen, sondern
	        
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