Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

58 Sechstes Kapitel 
(20. Mai): Die sozialdemokratische Partei habe in der auswärtigen 
Politik „selten eine glückliche Hand gehabt, weil sie sich von Doktrinen, 
anstatt von der rauhen Wirklichkeit der Dinge, wie sie sind, bestimmen 
ließ.“ Ihre Friedenswünsche seien im Auslande als „Schreie aus 
tiefster Not“ aufgefaßt worden und hätten daher eher kriegsverlängernd 
gewirkt. Aus dieser herben, aber den Nagel auf den Kopf treffenden 
Betrachtung folgerte dann das sehr angesehene Gewerkschaftsblatt, daß 
das Verhältnis der Gewerkschaften zur Sozialdemokratie durch deren 
Zerrissenheit nicht unberührt bleiben könne. „Wir wünschen daher keine 
Verpflichtung der Gewerkschaften auf irgendwelche Parteipolitik.“ Lei- 
der haben die freien Gewerkschaften es nicht fertig gebracht, sich von 
der traditionellen Bindung an die sozialdemokratische Parteileitung 
loszulösen. 
Das Ergebnis der wochenlangen Verhandlungen in Stockholm be- 
deutete nicht nur für weite Arbeiterkreise eine Enttäuschung. Die „Buch- 
binder-Zeitung“ (24. Juni 1917) gab dieser Empfindung offen mit 
den Worten Ausdruck: „Die sozialistischen Konferenzen haben trotz 
aller schönen Umschreibungen nichts Friedensförderndes gebracht.“ Etwas 
schroffer hatte sich die linksradikale Bremer „Arbeiterpolitik“ ausge- 
drückt, indem sie vorausschauend (9. Juni) bemerkte: Herauskommen 
werde „ein dünner Aufguß dürren Gemüses, große Worte, große 
Gesten ohne inneren Gehalt, ein friedensduseliger Appell an die Re- 
gierungen“. 
Welche Lehren man im Schoße der Reichsleitung aus den Stock- 
holmer Erfahrungen zog, ist mir nicht bekannt. Bald nahm die Ent- 
wicklung der Dinge in der Heimat das Interesse anderweit voll in 
Anspruch. 
6. 
Der Vorstoß der Mehrheitssozialisten im Reichstag — Die 
Paterlandsparkei — Der Sturz Bethmanns — Friedens- 
resolution und Flaumacherei — Die sozialistische Presse zum 
Kanzlerwechsel 
Für die erste Julihälfte war der Reichstag wieder zur Tagung 
berufen. Zu seinem Zusammentritt verlangte der „Vorwärts“ (7. Juni) 
eine große weithin sichtbare entscheidende Tat. Eine solche wäre die 
Einführung des gleichen Wahlrechts in allen Bundesstaaten.
	        
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