Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Die Kampfansage des Genossen Ebert 61 
außerordentlich schlecht. Unsere alldeutsche Presse habe alles getan, um 
unsere Beziehungen zu Osterreich zu vergiften. 
Die Haltung der Neutralen werde für uns von Tag zu Tag 
ungünstiger. 
Das Volk habe alles Vertrauen zu der Regierung und ihren Er- 
klärungen verloren. Er fordere, daß man sobald wie möglich zu einem 
Frieden komme. Wenn auch das offizielle Frankreich und England sich 
noch ablehnend verhielten, so eröffneten doch die Zustände in Ruß- 
land Hoffnungen. In Frage kommen könne aber kein Sonderfrieden, 
sondern nur ein allgemeiner. Daher müsse die deutsche Regierung 
die Rußland gegenüber aufgestellte Formel „keine Annexionen, keine 
Kontributionen“ für die Friedensverhandlungen mit allen Mächten 
maßgebend sein lassen. Dadurch werde die in Rußland vorhandene 
Friedensstimmung in ihrer Einwirkung auf die Westmächte wesentlich 
unterstützt. Schon jetzt stehe ein günstiger Einfluß auf die Völker in 
den Ententeländern fest. Doch noch ein Weiteres sei notwendig. Schöne 
Reden, Erklärungen und kaiserliche Botschaften über die Neuorientierung 
im Innern genügten nicht. Das Volk frage sich: wozu die großen Opfer, 
wenn die Regiernug nicht gewillt ist, uns das Notwendigsie, Unentbehr- 
lichste, Selbstverständlichste — die politische Gleichberechtigung, zu ge- 
währen, das Dreiklassenwahlspstem zu beseitigen? 
Der Hinweis auf den Burgfrieden sei heute zum Gespött aller ge- 
worden, wie die alldeutsche Hetze beweise. Das Ausland habe die Zeichen 
der Zeit besser zu nützen gewußt. Die Vertagung der Wahlrechtsreform 
bis nach dem Kriege sei ganz unhaltbar geworden. 
Der Redner, dessen Darlegungen sich völlig in dem sattsam be- 
kannten engen Parteirahmen bewegten, schloß mit dem Hinweis an die 
Regierung, daß die demokratische Reform im Innern Deutschlands 
eine Voraussetzung sei sowohl für die innere Festigung des Volkes wie 
auch für die Stärkung nach außen hin. Ob Herr Ebert als ehrlicher 
Mann auch heute noch so denkt? 
Die Ausführungen des sozialdemokratischen Abgeordneten wurden 
von dem Abg. Erzberger unterstrichen, besondero, soweit sie sich auf die 
behauptete Wirkungslosigkeit des UBootkrieges bezogen. Am ö. Juli 
unternahm Erzberger — diesem betriebsamen, überall auftauchenden 
Abgeordneten war bisher von fast allen Regierungsstellen, besonders 
dem Auswärtigen Amt, ein beinahe restloses Vertrauen entgegengebracht
	        
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