96 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
Flur, in der Regel mit Durchführung der deutschen Hufenverfassung“) zu mehr
selbständiger und geregelter Wirtschaft. Im Laufe der Zeit erlangten sie
schließlich — häufig durch Kauf — Erbrecht an ihren Hufen unter Fixierung
der Zinsleistung und Lösung von dem Hörigkeitsverhältnis.
Aus dem Herrenhof mit angesiedelten Knechten heraus entwickelte sich auf
diese Weise neben ihm allmählich eine selbständige sorbische Bauerngemeinde.
Immerhin aber waren die Abgaben dieser Bauern relativ bedeutend, ihre
Freiheit persönlich und wirtschaftlich noch erheblich beschränkt, und vor allem
blieben sie zu Diensten auf dem Herrenhof und den herrschaftlichen Feldern,
in der Regel „nach Erfordern", d. h. ungemessen, verpflichtet.
Darin lag für den Herrn bei ebenfalls vermehrten und regelmäßigeren
Einnahmen ein Vorteil, der ihm bei der Ansetzung deutscher Bauern entging.
Deun diese verstanden sich nur ausnahmsweise und nur in bestimmter Be-
messung auf einige wenige Tage zu Ackerdiensten, während der Ritter andrer-
seits in den weitaus meisten Fällen solche ohne Aufgabe seiner eigenen
Wirtschaft gar nicht entbehreu konnte.
Wo also der ritterliche Besitz nicht umfangreich genug war, um die
dienstverpflichteten sorbischen Hintersassen neben den deutschen Bauern bei-
zubehalten, oder wo er überhaupt für die Anlage eines deutschen Dorfes in
üblicher Größe nicht ausreichend erschien, oder wo endlich die Lage oder der
Boden den Ansprüchen der deutschen Kolonisten nicht genügte"')t: in all diesen
Fällen blieb dem Grundherrn nichts weiter übrig, als sorbische Bauern an-
zusetzen; die eigenen Hörigen und solche, die flüchtig oder von ihren früheren
Gütern verdrängt als „hospites“ Aufnahme begehrten.
Daraus ergiebt sich, daß die sorbische Besiedelung, die Begründung guts-
abhängiger wendischer Gemeinden, dort am nächsten lag und häufig geradezu
geboten schien, wo die kleinen ritterlichen Güter am dichtesten sich drängten,
wo also räumliche Beengung zusammentraf mit dringendem Bedürfnis nach
ausgedehnten Diensten zum Herrenhof.
Dies trifft nun nach den früheren Ausführungen fast durchweg zu für
die Gegenden, in denen der altsorbische Anbau bereits intensiver das Land
erfaßt und mit seinen weilerartigen Dörfern dicht bedeckt hatte. Hier waren
die meisten kleinen Lehen schon in der Eroberungszeit verliehen, und in der
Mehrzahl der Dörfer saßen seit jener Zeit dicht bei einander kleine ritterliche
") über diese später. In der Regel werden die wendischen (Haken-Hufen auch bei
uns kleiner, nur halb so groß, als die deutschen Landhufen gewesen sein, entsprechend der
schon durch das schlechtere Ackergerät bedingten geringeren Leistungsfähigkeit der Sorben.
*) Das wird in verschiedenen Landstrichen der Fall gewesen sein. Bekanntlich er-
saßte der älteste Ackerbau schon aus technischen Gründen stets den am leichtesten zu be-
arbeitenden Boden; das war meistens leichter Sandboden, den die Kolonisten verschmähten.
(Anders bei der Biehwirtschaft.)