Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 109
Mit der Ausbreitung der deutschen Bauern ging Hand in Hand die
Verdrängung wendischen Volkstums, die völlige Germanisierung
des Landes.
Links der Elbe waren die Sorben, wie früher erwähnt ist, schon während
des 10. und 11. Jahrhunderts stark dezimiert. Seit dem 12. Jahrhundert
verschwinden sie in ihrer Besonderheit und Eigenart mehr und mehr.
Eine systematische und gewaltsame Vertreibung, aus politischen Gründen,
wie in Brandenburg, hat zwar in den Gegenden zwischen Elbe und Saale
nicht stattgefunden.) Aber an Verdrängungen aus wirtschaftlichen Gründen
hat es auch bei uns nicht gefehlt. Ofters wird in Urkunden der Wunsch
oder die Erwartung ausgesprochen, die Wenden möchten den Ort verlassen
und deutschen Bauern Platz machen, und man wird wohl verstanden haben, dem
Wunsch gegebenenfalls durch die That Nachdruck zu geben. Es ist bezeichnend,
daß nirgends von der Zurückforderung entlaufener Wenden die Rede ist; daß
kein Verbot des Entlaufens, kein Auslieferungsvertrag erhalten ist. Man
machte sich eben nicht viel daraus, wenn sie gingen, solange und wo man
hoffen durfte, statt ihrer deutsche Siedler zu erhalten.
Häufig begegnet man der Ansicht, die Sorben hätten sich allmählich
ganz mit den Deutschen vermischt; sie seien in diese gleichsam aufgegangen.
Ich glaube, daß man damit doch oft zu weit geht. Ich meine, es wird auch
hier jenes bekannte Gesetz der natürlichen Auslese in Erscheinung getreten
sein: daß ein weicheres, schwächeres Geschlecht allmählich schwindet gegenüber
einem rücksichtslosen, kulturüberlegenen Rivalen. Die Sorben wurden langsam
aber unwiderstehlich hinweggedrängt von allem, was behäbigeres Leben ermög-
lichte. In der älteren Zeit, als der nationale Gegensatz vor dem religiösen
mehr zurücktrat, als der Übertritt zum Christentum zugleich den Anschluß
an das Deutschtum bedeutete, mochte häufiger eine Verschmelzung stattfinden.
Aber je später, desto entschiedener bildete sich der Rassengegensatz““) heraus,
und stieg die von Anfang an vorhandene Abneigung zu Verachtung und
Haß. Die Zünfte weigerten allen die Aufnahme, die von wendischen Eltern
abstammten. Die Städte schlossen sich ihnen, oder wiesen ihnen besondere
Viertel und Straßen an. Von wendischer und von unehrlicher Geburt sein,
war gleichbedeutend, in den Zunftstatuten und in landesherrlichen Reskripten.
Die Bezeichnung „Wende“ galt als ein Schimpfwort, das mit hoher Strafe
belegt wurde. Wer unsern Bauer kennt, wird nicht annehmen, daß er mit
Menschen, die in solcher Geringschätzung standen, sich anders als nur aus-
nahmsweise durch Heirat und verwandtschaftliche Beziehungen vermischt habe.
*) Abgesehen von den Gegenden an der unteren Mulde und von dort elbaufwärts,
wo das Gebiet der brandenburgischen Askanier und der Magdeburger Kirche herüber-
reichte.
*“*) Der übrigens schon im Sachsenspiegel hervortritt.