Full text: Sächsische Volkskunde.

136 H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 
Stadtplan den alten Stadtkern, wie ihn einst die Ringmauern umschlossen, 
herauszuschälen. Für die kleineren Städte, die es noch zu keinem Stadtplan ge- 
bracht haben, bietet die vom K. Finanzministerium herausgegebene topographische 
Karte im Maßstabe von 1:25000 einen allerdings nur schwachen Ersatz; 
ihr kann man wenigstens die allgemeinsten Formen der Stadtanlage entnehmen. 
Sammlungen älterer und neuerer Ansichten und Pläne, wie eine solche kürz- 
lich vom Verein für die Geschichte Dresdens herausgegeben worden ist, sind 
überaus fruchtbare Hilfsmittel für die Erkenntnis der Entstehung und Ent- 
wickelung der Städte und verdienen den Geschichtsvereinen aufs wärmste zur 
Nachahmung empfohlen zu werden. ÜUberblicken wir das ganze Material für 
die 142 Städte des Königreichs Sachsens und schließen wir die leicht erkenn- 
baren Städtchen aus, die noch heute die ehemalige Dorfanlage zeigen und 
sämtlich erst später, als der Begriff der Stadt vollkommen ausgebildet war, 
durch Verleihung städtischer Gerechtsame aus Dörfern in Städte verwandelt 
worden sind, so bemerken wir sogleich eine unverkennbare Verwandtschaft in 
den Anlagen. 
Für die Wahl des Platzes zur Gründung einer Stadt waren natürliche 
Bedingungen maßgebend. Dieselben natürlichen Bedingungen hatten auch die 
Richtungen der Verkehrswege vorgeschrieben; es ist vollkommen begreiflich, 
wenn an diesen die Städte entstanden, und zwar besonders an den Punkten, 
wo sich Straßen kreuzten, wo Fluß= oder Paßübergänge sich befanden und 
wo eben deswegen, wie wir sahen, lange vor Entstehung der Städte Burgen 
angelegt worden waren. Zu beachten ist auch, daß längs dieser Straßen die 
Städte meist in Abständen liegen, die ungefähr dem Wege entsprechen, den ein 
beladener Wagen zu jener Zeit in einem Tage zurücklegen konnte. So finden 
wir auf der großen West-Ost-Straße von Thüringen nach Schlesien und 
Polen in ziemlich regelmäßigen Abständen Merseburg — Leipzig — Wurzen 
— Dahlen — Strehla — Großenhain — Königsbrück — Kamenz — Bautzen 
— Löbau — Görlitz; auf der Straße aus den fränkischen Landen nach dem 
Osten: Hof — Plauen — Reichenbach — Zwickau — Chemnitz — Freiberg 
— Dresden. Dasselbe Bild bieten alle andern älteren Verkehrwege, wie sich 
aus jeder Straßenkarte ergiebt. Ein Fluß oder Bach mußte in der Nähe 
einer Stadt sein; mit Vorliebe suchte man eine Insel zwischen Flußarmen 
oder ein Landdreieck zwischen sich vereinigenden Flüssen oder Flüßchen aus. 
Aber während bei den süddeutschen Städten der Fluß sehr oft die Stadt 
durchströmt, ist dies in unseren Landen fast nie der Fall, und wo es der 
Fall zu sein scheint, ergiebt die nähere Betrachtung bald, daß besondere Ver- 
hältnisse vorliegen; die Münzbach z. B., die anscheinend Freiberg durchfließt, 
trennte, wie wir gleich sehen werden, ursprünglich Stadt und Dorf. Unsere 
Städte wurden vielmehr am Ufer der Flüsse angelegt, diese dienten mit zu 
ihrer Befestigung; aus dem gleichen Grunde ließen auch steile, felsige Ab-
	        
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