Full text: Sächsische Volkskunde.

162 H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 
weise sehen wir z. B. in Oschatz einen besonderen Stadtvogt neben dem Be- 
zirksvogt. Der Schultheiß aber war regelmäßig nur für den Stadbtbezirk 
vorhanden: der Stadtbezirk entspricht insofern der alten Hundertschaft. Der 
Schultheiß erscheint bald als der eigentliche Stadtrichter. In Leipzig z. B. 
waren nach einer Urkunde von 1216 Vogt und Schultheiß die beiden, die 
einzig in der Stadt richten durften; schon 1263 wird die Stadt völlig vom 
Gericht des Vogtes befreit, der Schultheiß ist nunmehr alleiniger Richter. In 
Freiberg, wo der Ausdruck Schultheiß unbekannt ist, gab es neben dem Ober- 
vogt einen Untervogt, der schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts ausschließ- 
lich die Rechtspflege übt, während dem Obervogt nur gewisse Ehrenrechte ver- 
bleiben. Der Untervogt aber stand schon seit Begründung der Stadt in 
einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Rat; auch in Chemnitz, in 
Zwickau, in Dresden und anderwärts zeigt sich schon früh ein Einfluß der 
Stadt auf die Besetzung der Stelle des mit der niederen Gerichtsbarkeit be- 
trauten Beamten, während die Einkünfte dieses Gerichts noch den Landes- 
herren zustanden. Erst im 14. und 15. Jahrhundert gelangten dann auch 
diese wie andere landesherrliche Einkünfte durch Kauf oder Verpfändung anfangs 
widerruflich, dann dauernd in den Besitz der Stadtgemeinde. Gegen Ende 
des Mittelalters waren unsere größeren Städte fast durchweg in den vollen 
Besitz der niederen und meist auch der oberen Gerichtsbarkeit gelangt; diese 
städtische Patrimonialgerichtsbarkeit hat bis über die Mitte unseres Jahr- 
hunderts hinaus bestanden. 
Aber nicht der Besitz des Gerichts, sondern das Bestehen eines eigenen 
Stadtgerichtsbezirks, in dem ausschließlich das Stadtrecht galt, ist wesentlich 
für den Begriff der mittelalterlichen Stadt. Auf diesen Bezirk übertrug sich 
nun der alte Ausdruck für Stadtrecht, er wurde als das Weichbild der Stadt 
bezeichnet. Anfangs waren seine Grenzen wohl meist die Stadtmauern oder 
die vor denselben liegenden Umwallungen, wie denn für Zwickau eine landes- 
herrliche Urkunde von 1295 bezeugt, daß ab exordio ipsius fundationis 
das Gericht der Stadt und alle ihre Rechte nur so weit reichten, wie der 
circuitus muniminum fossatorum, der Umkreis der Stadtgräben. Aber schon 
sehr früh kam es auch vor, daß man dem Weichbild weitere Grenzen gab, 
und dann bedurften diese Grenzen genauer Bezeichnung. So gab Markgraf 
Otto den Bürgern von Leipzig auf ihre Bitte vier Signa ihres Weichbild- 
rechts: das eine in der Mitte der Elster, das zweite in der Mitte der Parthe, 
das dritte an einem Stein beim Galgen, das vierte jenseits des Grabens, 
wo die Steine gebrochen wurden. Diese Zeichen waren vermutlich steinerne 
Kreuze, wie wir sie noch heute z. B. in Meißen nahe der Burg finden, wo 
sie ebenfalls Gerichtsgrenzen bezeichneten. Die Benennung der Weichbild- 
grenzen, ihre Bezeichnung durch Gräben oder Grenzsteine waren dann auch 
in der Folge wichtige Vorgänge.
	        
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