H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. 163
Innerhalb dieser Weichbildgrenzen galt das Stadtrecht, richtete das Stadt-
gericht, soweit es sich um Bürger und bürgerliche Angelegenheiten handelte;
der ritterliche Freihofsbesitzer, die Geistlichkeit, die unfreie Landbevölkerung,
die sich, wenn auch nicht in der Stadt, doch in den Vorstädten und in der
Nachbarschaft fand, hatten ihren besonderen Gerichtsstand. Das Stadtgericht
aber besaß seinen Mittelpunkt, ebenso wie der Handelsverkehr, im Markte.
Hier wurden die drei jährlichen Vogtdinge oder Vardinge, wie sie in Frei-
berg heißen, hier die ein= oder mehrmals in jeder Woche stattfindenden ordent-
lichen Stadtgerichtssitzungen abgehalten; anfangs wohl nach altem deutschen
Gerichtsbrauch unter freiem Himmel, auf einem durch Schranken, durch die
vier Bänke für die Beisitzer abgegrenzten Raum; dann im Dinghause, wie
noch im Freiberger Stadtrecht bezeichnend das Rathaus genannt wird. Hier
auf dem Markte war auch die ordentliche Richtstätte: hier stand der Pranger
und in seiner Nähe der Stock, das Büttelhaus, wo der Verbrecher in Haft
gehalten wurde, bis er dem Gericht zugeführt werden konnte. Auch die Hin-
richtungen fanden zuweilen auf dem Markte statt; meist freilich gab es für
sie schon früh eine besondere Richtstätte außerhalb der Stadt.
In ältester Zeit mag es die Pflicht aller Bürger gewesen sein, zur Ge-
richtszeit in den vier Bänken sich einzufinden und auf Befehl des Richters
Rechtsbelehrung zu erteilen, wenigstens bei den drei echten Dingen; eine
Rechtsweisung der Leipziger Schöffen nach Dresden aus dem Ende des 15. Jahr-
hunderts erkennt grundsätzlich diese Pflicht an, fügt aber die Beschränkung
hinzu: sofern nicht eine andere Gewohnheit bestehe. Das war wohl in den
meisten unserer Städte der Fall; nur in Freiberg wird einmal gelegentlich der
Dingpflicht der Bürger gedacht. Hier war es im 13. und noch im 14. Jahr-
hundert Brauch, daß der Richter aus dem Umstande, d. h. den im Gericht
anwesenden Bürger, für jeden einzelnen Fall die Urteiler auswählte; wer
innerhalb der vier Bänke stand, war verpflichtet, die Urteilsfrage des Richters
zu beantworten, ebenso wie er jedem Gerichtsgenossen das Wort sprechen, als
Vorspreche, als Anwalt, als Helfer bei Erfüllung der gerichtlichen Formali-
täten dienen mußte, wenn er nicht besondere Entschuldigungsgründe vorbringen
konnte. Erst seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts gab es in Freiberg
ständig gewählte Urteiler, Schöffen; ein interessanter Beweis, wie lebhaften
Anteil in der ältesten Zeit die ganze Bevölkerung der Stadt am Rechtsleben
nahm: denn offenbar hat es in den ersten Jahrhunderten dem Gericht nie
an Urteilern gefehlt. Freiberg bildet aber eine Ausnahme; wie in Magde-
burg, dem Mutterort unserer Stadtverfassung, so finden wir in den meisten
Städten der Mark Meißen schon in ältester Zeit die Einrichtung der
Schöffen, die bekanntlich seit Karl dem Großen in den fränkischen und
sächsischen Landen allgemein ist.
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