Full text: Sächsische Volkskunde.

176 Robert Wuttke: Stand und Wachstum. 
dieses Ineinanderweben verschiedenartiger Teile zu einem einheitlichen Ganzen 
vollzieht sich unsichtbar an den Zeitgenossen und wird in äußeren Denkmälern 
nicht aufbewahrt. Aber noch heute läßt sich in der Körperform, in der Be- 
weglichkeit, an der Sprache erkennen, daß in Sachsen keine rassenreine Be- 
völkerung, wie etwa in Bayern, in Württemberg, sondern ein deutsches, mit 
slawischen Elementen stark durchsetztes Mischvolk wohnt. 
Von den sorbischen Ureinwohnern sind die Wenden in der Lausitz 
zurückgeblieben; sie haben allein ihre Sprache und Bräuche erhalten und er- 
folgreich ihr Volkstum gegen das Deutschtum behauptet. Mannigfaltig sind 
die Ursachen, weshalb sie dem germanischen Aufsaugeprozeß bis jetzt wider- 
standen haben. Erstens begnügten sich die deutschen Herren mit ihren sor- 
bischen Unterthanen und riefen keine deutschen Bauern in das Land; zweitens 
drängte sich auf einen verhältnismäßig engen Raum — Bautzen und Um- 
gebung — die wendische Bevölkerung zusammen und drittens hatte die säch- 
sische Regierung seit dem Anfall der Lausitz im Prager Frieden sie in ihrer 
Eigenart geschützt und ihnen nie das Deutschtum aufgezwungen. Trotzalledem 
ist ihre Zahl sehr gering. Erst seit diesem Jahrhundert haben wir statistische 
Angaben über die Volkszahl der Wenden; es wurden gezählt: 
1849 49217. 
1890 49916. 
Bei aller Schonung, die sie genießen, haben sie doch, wie diese Zahlen 
beweisen, sich nicht zu vermehren vermocht. Sie leben gewissermaßen in 
einem geistigen Stillstand, in einem Beharrungszustand, und gerade dieser 
Umstand trägt wesentlich dazu bei, daß bei ihnen alles volkskundliche sich 
reicher als sonstwo in Sachsen erhalten hat. 
Neben der Ausbildung zu einem einheitlichen Volkscharakter geht in 
der bezeichneten Periode, also bis zur Reformation, die Aufteilung des vor- 
handenen urbaren Grund und Bodens einher. Die slawischen Weiler, die 
im 11. und 12. Jahrhundert sich zahlreicher in den Niederungen als in den 
Gebirgszügen finden, waren sehr klein. Wahrscheinlich bildete das Dorf einen 
Familienverband. Die Dörfer lagen oft weit von einander entfernt, zwischen 
ihnen reichlich unbenutztes Land. Sicherlich war das ganze Land nur sehr 
dünn und schwach bevölkert. Das änderte sich mit der germanischen Ein- 
wanderung. Der deutsche Bauer drang in die großen Wälder des Erzgebirges 
und Vogtlandes vor, in der Ebene suchte er das von den Slawen übrig ge- 
lassene Land urbar zu machen und so lange dauerte der fremde Zustrom an, 
bis fast alles besiedelbare Land vergeben war. Gegen Mitte des 15. Jahr- 
hunderts dürfen wir den Ausgang der Besiedelung verlegen. Das ganze 
Land ist mit einem festen Maschennetz von Dörfern überzogen, nur wenige 
Gründungen aus späterer Zeit sind uns bekannt. 
Daneben entstehen die deutschen Städte; bei einer großen Anzahl von
	        
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