180 Robert Wuttke: Stand und Wachstum.
In einzelnen Dörfern gab es keine „denn solche aus bedenklichen Ursachen
nicht geduldet werden“. (Erbregister des Dorfes Stauda 1590.)
In den Landtagsverhandlungen von 1590—1618 finden sich aus allen
Teilen des Landes Klagen über die Zunahme der Hausgenossen und man
verlangte Verordnungen zur Einschränkung dieses Übels. Bei „Erörterung
derer Landes-Gebrechen“ von 1603 heißt es, daß von gemeinen Leuten in
manchen kleinen Häuslein drei oder vier Paar Volks als Hausgenossen
wohnen. Zur Abhilfe verordnet die kurfürstliche Regierung, daß in Amts-
städten und Dörfern forthin über ein Hausgenoß in einem Hause nicht geduldet
und gelitten werden solle. Aber die Bewegung hatte offenbar schon soweit
um sich gegriffen, daß man mit diesem Verbote nicht durchdringen konnte.
In der „Resolution und Erledigung derer Landes-Gebrechen“ von 1612 wurde
jedem Unterthanen „ein Paar oder zwei eintzeler Hausgenossen“ in seinem
Haus aufzunehmen gestattet; jedoch mit einer Erschwerung: die Hausgenossen
mußten von ihrem „jüngsten Gerichtsherrn einen Abzugs-Brief oder richtige
Kundschaft“, vorlegen und ihr neuer Wirt mußte für dieselben in allen
bürgerlichen Sachen zu haften angeloben.
Besonders in den Städten machte sich im Anfang des 17. Jahr-
hunderts der Zustrom besitzloser Elemente geltend. Der Stolz des Bürgers
empörte sich gegen sie und durch harte Hausgenossenordnungen suchte man
den Zuzug abzuhalten, oder wenigstens durch entehrende Bestimmungen die
soziale Stellung der Hausgenossen zu den Vollbürgern scharf zu begrenzen.
Typisch für diese Bestrebungen ist die Hausgenossenordnung des Rats zu
Delitzsch vom 8. Mai 1628. Das Recht der Niederlassung als Hausgenosse
war an die Erfüllung einer Reihe drückender Polizeivorschriften gebunden.
Der Hausgenosse mußte dem Bürgermeister angeloben sich des Rates Gebot
und Verbot zu unterwerfen, bei den Bürgern „auf ihr Begehren um einen
billigen Lohn“ zu arbeiten. Sie mußten sich verpflichten, auf des Rats
Wiesen unentgeltlich Heu und Grummet zu machen, den Markt, so oft es
nötig wäre, zu kehren „und was dergleichen geringe Arbeit mehr ist“.
Was man bezweckte, wurde aber durch alle diese Verordnungen nicht
erreicht. Als im Jahre 1697 die Einwohnerschaft der sächsischen Städte
gezählt wurde, ermittelte man 23 100 ansässige Einwohner,
7 769 unansässige „
Also knapp ein Viertel der städtischen Bevölkerung gehört zu den Haus-
genossen! Im Laufe des 18. Jahrhunderts verliert der Gegensatz zwischen
Grundbesitzerstand und Mieterstand mehr und mehr von seiner Schärfe und
in diesem Jahrhundert sind die Rollen vertauscht. So hat die andauernde
Vermehrung der Bevölkerung in wenig Jahrhunderten eine völlige Ver-
schiebung der sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des Volkslebens
verursacht.