Robert Wuttke: Stand und Wachstum. 183
wollen dem Kurfürsten ein Präsentgeld. Bei einem solchen Anlaß ließ 1622
die Ritterschaft ihre steuerfreien Güter durch eine Kommission nach dem Wert
abschätzen, um danach das bewilligte Präsentgeld zu verteilen. Die Kom-
mission schätzte den Gesamtwert des ritterschaftlichen steuerfreien Besitzes auf
21 405 762 Gulden. Der gesamte steuerbare Besitz im Lande wurde in
eben diesem Jahre auf 20 621 074 Gulden veranschlagt, es überwog also der
steuerfreie Besitz den steuerbaren. Die amtsässigen Adligen mußten wie
Bürger und Bauern ihr Vermögen versteuern. Aus dem Steuerkataster
von 1647 läßt sich ihr Vermögen besonders berechnen; zählen wir den
steuerfreien adligen Besitz hinzu, so erhalten wir einen Anhalt, wie das Volks-
vermögen zwischen Adel auf der einen und Bürger= und Bauernstand auf
der anderen Seite sich verteilte. Es besaß
die Ritterschaft mit den amtsässigen Unterthanen ein
Vermögen von . .. .. .. 23508000 Gulden,
die Bürger in Städten und die Bauern in den
Amtern auf dem Lande von .. 1388518000 „
Alle Wertabschätzungen ergeben nie ein absolut rechnerisch sicheres Er-
gebnis, und dies gilt in hohem Grade für die Wertermittelungen früherer
Jahrhunderte; aus den mitgeteilten Zahlen kann man aber annähernd auf
das Verhältnis zwischen Ritterschaft und Bürger= wie Bauerntum schließen.
Der Adel war der politisch und wirtschaftlich maßgebendste Stand im
Kurfürstentum, und das Bürgertum stand absolut wie relativ an Bedeutung
weit gegen ihn zurück. Selbst die Macht des Kurfürsten war lange nicht so
absolut, wie es in der politischen Geschichtsschreibung erscheint. In allen
wirtschaftlichen und innerpolitischen Fragen gab der Adel die entscheidende
Stimme ab. Und es kann den sächsischen Kurfürsten nicht hoch genug an-
gerechnet werden, daß sie stets einen Ausgleich der Interessen anstrebten, die
Rechte des Bürgertums hochhielten, den bäuerlichen Besitzstand zu erhalten
und die Macht des Adels nicht zu brechen, sondern dem Dienste des Staates
nutzbar zu machen suchten.
Schwer waren die Schädigungen des 30 jährigen Krieges. Von da ab
ertönt die Klage über den Niedergang Deutschlands. Genauere Prüfung der
thatsächlichen Zustände Deutschlands vor und nach dem 30 jährigen Kriege
wird wohl dahin führen, die übertriebenen Vorstellungen von den Nachteilen
dieses Krieges auf das richtige Maß zurückzuführen. Wie jeder große an-
haltende Krieg hat er schwere Wunden geschlagen, aber der politische und
wirtschaftliche Rückgang Deutschlands ist nicht von ihm herbeigeführt worden;
er hat nur die langsam schleichende Krankheit, an der Deutschland litt, zum
Ausbruch gebracht.
Zahlreich sind in Sachsen die Klagen der Zeitgenossen über die durch
den großen Krieg verursachte Bevölkerungsabnahme. Sicherlich haben einzelne