10 S. Ruge: Das süchsische Land.
stehen wir den Ausdrücken herzynisch und sudetisch fremd gegenüber. Die
Namen sind alt, aber ihre Verbindung und Anwendung in der wissenschaft-
lichen Erdkunde ist neu. Auch giebt sich in einem Doppelnamen häufig die
Verlegenheit des Taufpaten kund, der bei der Unklarheit des Sinnes mit
dem einen Namen allein glaubte nicht genug gesagt zu haben.
Der älteste von den beiden Namen ist der der Herzynen oder Arkynnen,
denn er kommt schon im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Aristoteles vor. Der
große griechische Philosoph hat nur eine ganz dunkle Vorstellung von einem
mächtigen Gürtel von Waldgebirgen in Mitteleuropa. Dreihundert Jahre
später nennt Cäsar das ganze mitteldeutsche Bergland vom Rhein bis an die
Donau unterhalb Wien, 9 Tagereisen breit und 60 Tagereisen lang, Silva
Hercynia den herzynischen Wald. Das Wort gehört der keltischen Sprache
an und bedeutet soviel als Erhebung, Höhe, Gebirge. Die Kelten bewohnten
die Südseite dieses Waldgürtels, nur von ihnen konnten Griechen und Römer
den Namen hören. Bemerkenswert ist noch, daß Erkynia und Fergunna
sprachlich dasselbe bedeuten, und daß Fergunna als Waldgebirge auch ein-
mal im Mittelalter, im Jahre 805, als eine Lokalität in der Nähe des
heutigen Sachsenlandes genannt wird, woraus man etwas voreilig geschlossen.
hat, es sei damit das Erzgebirge gemeint. (Grimm, Wörterbuch. I. 1052.)
Wenn Cäsar die Breite des herzynischen Waldes zu 9 Tagereisen an-
giebt, so ist diese Angabe natürlich nur nach Erkundigungen gemacht, denn
der römische Feldherr hat ihn aus eigner Anschauung nicht kennen gelernt.
Hier hausten nach Cäsars Angabe Einhörner, Urstiere und Elche, die auf
ganz fabelhafte Weise erlegt wurden und sich nur in diesen Urwäldern finden
sollten. Ein solcher unheimlicher Waldgürtel war die beste Grenzscheide
zweier Völkergruppen, der Germanen im Norden, der Kelten im Süden.
Auch die Germanen hatten für diesen Grenzwald einen Namen, der sich
in ihren Sagen erhalten hat. Es war der Dunkelwald, der Miriquido, über
den die Schwanenjungfrauen ins unbekannte Land gegen Süden flogen. Den
Namen kennt auch eine Urkunde von 974 und der Chronist Thietmar von
Merseburg für das Jahr 1004. Beidemale werden damit Wälder im heutigen
Erzgebirge gemeint; es wäre aber falsch, daraus den Schluß zu ziehen, daß
damals das Erzgebirge so geheißen habe. Beidemale haben wir es mit
unbewohnten Waldwildnissen zu thun, wie der Miriquido als Grenzwald
sein soll.
Als den Deutschen das Land nördlich davon zu enge für die wachsende
Bevölkerung wurde, durchbrachen sie in gewaltigem Völkerzuge den Urwald.
zogen durch das keltische Land und bedrohten römisches Gebiet. Das ist die
Bedeutung des Kimbern= und Teutonenzuges 113 v. Chr. Von da an
rückten die Deutschen erst in den Wald und dann durch den Wald und
besetzten das Land bis an die Alpen. Das erste Land aber innerhalb des