Full text: Sächsische Volkskunde.

Robert Wuttke: Stand und Wachstum. 197 
konsumtionsaccise um; die Stände, die von Landtag zu Landtag die Staats- 
steuern zu bewilligen hatten, erkannten den bestehenden Zustand nicht an und fuhren 
fort, die alten Sätze der direkten Staatssteuer auszuschreiben. Der Landtag be- 
willigte also fast ein Jahrhundert lang eine Steuer, von der er wußte, daß sie in 
dieser Form in den Städten nicht zur Erhebung kommen werde. Auf dem Papier 
hatten aber die Stände ihren Willen durchgesetzt und ihre Gerechtsame behauptet. 
Land und Stadt standen in jenen Zeiten in engster Verbindung. Die 
nächste Umgebung einer Stadt bildete das natürliche Absatzgebiet für den 
städtischen Gewerbfleiß und umgekehrt versorgte das Land die Stadt mit 
seinen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Der Verkehr von größeren Güter- 
mengen aus einem Landesteil in den anderen war relativ schwach. Auch 
die Menschen waren nicht von jener rastlosen Beweglichkeit, die wir aus der 
Gegenwart kennen. Ortsangesessen heißt auch ortseingelebt. Wo man geboren 
wurde, da beschloß man meist sein Dasein. Ein Hin= und Herströmen großer 
Bevölkerungsmassen war bei den damaligen Verkehrsverhältnissen unmöglich. 
Diese Unbeweglichkeit breiter Volksschichten und die geringe Zufuhr frischen 
Blutes sind die Voraussetzung zur Entwickelung eignen volklichen Lebens; nur 
in einer Bevölkerung, die geschlossen für sich — fremden Einflüssen unzu- 
gänglich — lebt, kann sich eine Tradition entwickeln, diese aber wird zu einem 
Erbgut, das die absterbende Generation der aufblühenden hinterläßt; sie setzt 
somit die engsten Wechselbeziehungen der verschiedenen Generationen voraus. 
Ein festes Heimatsgefühl wurzelte in der Brust eines Jeden. Der Bauer 
auf dem Lande, der Adlige auf dem Gute, die Bürger in den Städten, sie 
alle waren auf das engste mit ihrer Umgebung verwachsen; sie alle teilten 
mit einander die großen und kleinen Sorgen des täglichen Lebens; was aber 
außerhalb der Stadt oder dem Dorfe sich zutrug, lag schon in weiter Ferne. 
In kleinem Kreis lebte man für das Kleine, kaum, daß einer seinen Blick 
über die Grenzpfähle des Landes warf. 
Solche volksbeständige Schichten sind der Nährboden für alles das, was wir 
heute unter Volkskunde vorzugsweise verstehen. Sitte und Brauch, Mundart 
und Volkstracht schlagen feste Wurzeln im Volksleben. Die verschiedenartigsten 
Volkselemente verbinden sich, ein einheitlicher Charakter des Volkes entsteht. 
Schon damals verbreitete sich in Deutschland der Ruf von der Höflichkeit, 
der Geschmeidigkeit und Findigkeit des sächsischen Volksstammes. Für die 
Dichtkunst wie für die Musik zeigte er eine hohe Begabung. Vor allen 
anderen deutschen Staaten zeichnete sich Sachsen in der Verwaltung aus. 
Und wenn wir den Grundlagen, auf denen in der Gegenwart Sachsens 
Volkswohlstand sich aufbaut, nachgehen wollen, so werden wir in das 17. 
und 18. Jahrhundert zurückgeführt. Der Bergbau hatte zahlreiche Arbeiter 
angelockt; mit seinem Rückgang verlieren diese ihren Unterhalt, sie können 
nicht Bauer oder Handwerker werden, sie passen nicht in die mittelalterliche
	        
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