204 Robert Wuttke: Stand und Wachstum.
Es bestand also noch 1834 dasselbe Verhältnis, wie wir es aus den
früheren Jahrhunderten kennen: ein Drittel städtische, zwei Drittel läudliche Be-
völkerung; in dem kurzen Zeitraum von 60 Jahren hat es sich völlig verschoben.
Drei mächtige städtische Mittelpunkte erheben sich im Lande:
Leipzig Dresden Chemnitz
1832: 43 189 64 399 19 572
1. Juni 1900: 439 200 406 000 200 836.
Die Städte sind nicht allein durch die Zunahme auf dem alten städtischen
Gebiet, sondern wesentlich durch die Einverleibung ihrer Vororte gewachsen.
Bei keiner dieser Städte deckt sich Stadt mit städtischem Wirtschaftsgebiet;
so stehen außerhalb der Stadt, aber innerlich ihr zugehörig, in Dresden
56 000 Einwohner, in Leipzig 30 000 Einwohner, in Chemnitz 320000 Ein-
wohner. Diese Städte saugen mit Polypenarmen das platte Land aus und
ziehen alles, was an Menschen erreichbar ist, an sich heran.
Die Statistik verläßt uns auf diesem Gebiete; ob ein Ort von 2000 Ein-
wohnern einsam im Gebirge liegt, oder dicht vor dem Weichbild unserer Groß-
städte, von der er wirtschaftlich völlig abhängig ist, bedeutet einen wesentlichen
Unterschied in dem politischen und sozialen Leben der betreffenden Gemeinden.
In früheren Jahrhunderten wurde städtisches Wesen von den Stadtmauern
umschlossen; trat man aus den Thoren hinaus, so war man auf dem Lande,
und nicht nur die frische Natur umgab uns, alles Sinnen und Trachten,
alles Denken und Handeln war hier ein anderes als in der Stadt. Wer
damals auf dem Lande wohnte, gehörte auch dem Lande an. Wie anders
heute. Wenn wir auf das Land hinausgehen und sehen, wie in den Dörfern
neben den Bauernhöfen große Mietkasernen sich breit machen, so wissen
wir, hier pulsiert nicht ländliches, sondern städtisches Leben. Viel weiter, als
die Zahlen ahnen lassen, greift in Sachsen die Stadt in das Land hinein:
geht die Entwickelung in gleichem Schritt weiter, so wird Sachsen bald ein
Stadtstaat sein.
Wenn wir nach den Ursachen der Bevölkerungszunahme in Sachsen
forschen, so ergiebt sich folgendes: es werden jährlich mehr geboren wie sterben
und es wandern nach Sachsen mehr ein wie aus.
Auf 100 der mittleren Bevölkerung") betrug die Zunahme
1847/50 1851/60 1861/70 1871/80
11,99% 13,24% 14,11% 15,96%
daran hatten Anteil:
a) der Geburtenüberschuß 11,01% 12,09% 12,39% 13,79%
b) der Wanderungsgewinn 0,98% 1,15% 1,72% 2,17%
*) In den Jahren 1854/93 betrug die Zunahme 1 612 000 Einwohner; es betrug
der Anteil des Geburtenüberschusses 1 546 000 Einwohner, des Wanderungsgewinnes
66 000 Cinwohner.