Full text: Sächsische Volkskunde.

Robert Wuttke: Verbrechen und Selbstmord. 239 
auszusprechen — hervorgebracht hat, der vermögend war allein und offenbar 
die alte Lehre der Kirche anzugreifen.“ Bianconi zählt dann alle bedeutenden 
in Sachsen geborenen Männer auf. 
lber die Auffassung die man in Sachsen über den Selbstmord hatte, 
geben uns die Gutachten — vom 3. und 21. Januar 1777 — der beiden 
juristischen Fakultäten des Landes Aufschluß; sie zeigen uns, wie verschieden 
man schon damals den Selbstmord auffaßte. Die kurfürstliche Regierung 
hatte die Gutachten eingefordert, weil sie „die vorhandenen gesetzlichen An- 
ordnungen gegen den Selbstmord teils einschärfen teils noch wirksamer“ ge- 
stalten wollte. Die Wittenberger Fakultät schreibt: „verblendete Menschen, die 
aus Furcht vor Strafe oder sonst aus Ruchlosigkeit und Verblendung Hand 
Lan sich legen, lassen sich vom Satan dahin verleiten — mit Unterdrückung 
aller Betrachtungen, so ihnen Religion und Vernunft und sogar der natür- 
liche Trieb das Leben zu erhalten erregen kann — dem unseligen Gedanken 
sich ums Leben zu bringen ernstlich nachzuhängen.“ 
Die Wittenberger Fakultät vertritt den herrschenden, den rein theologischen 
Standpunkt; ganz anders die Leipziger Fakultät; sie steht unter der neueren, 
naturwissenschaftlichen Anschauung. Sie spricht von dem Selbstmörder als 
einen Unglücklichen und meint, der Selbstmord wäre eine widernatürliche 
Handlung. Man solle es den Arzten anheimstellen zu untersuchen, inwieweit 
eine Unrichtigkeit der Sinne darunter verborgen liege. Der Selbstmord sei 
nach der Beschaffenheit der Luft und des Landes immer einem Volke mehr 
als dem anderen eigen; er sei nicht etwa ein Schicksal leichtsinniger Gemüter, 
sondern im Gegenteil meist gesetzter und nachdenkender Menschen. 
Wenige Jahre später, 1784, trug die Kommerzdeputation beim Ober- 
konsistorium an, die geistlichen Inspektionen möchten angewiesen werden, 
alljährlich Verzeichnisse der Selbstmörder mit Angabe der bekanntgewordenen 
Ursachen einreichen. Sie begründeten ihr Gesuch damit: „überdem hat man 
verschiedentlich zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die Fälle des Selbft- 
mordes in hiesigen Landen nicht selten sich ereignen; um zu erörtern, ob 
Melancholie oder besondere Lokalumstände dazu Veranlassung geben, stelle 
sie ihren Antrag“. Das Oberkonsistorium veranlaßte dann die Erhebungen, 
und vom Jahre 1784 ab besitzen wir dann eine fortlaufende Statistik der 
Selbstmorde, wohl die erste in Deutschland; sie umfaßte in der ersten Zeit 
nur die Erblande und berücksichtigte nicht die Lausitz. 
Aus den Bemerkungen und Einwendungen der Kommerzdeputation, die in 
ihrem dem Kurfürsten unterbreiteten Hauptbericht alljährlich eine Selbstmord- 
tabelle bringt, geht hervor, daß diese Statistik damals nichts weniger als ein- 
wandsfrei aufgestellt wurde; besondere Schwierigkeiten machte es, die Ver- 
unglückten von den Selbstmördern zu trennen.
	        
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