Full text: Sächsische Volkskunde.

Hermann Dunger: Volksdichtung in Sachsen. 261 
falsch, wenn man gewisse Lieder als thüringisch, bayrisch, schwäbisch bezeichnet, 
obgleich sie auch in anderen Landstrichen einheimisch sind. Ich wähle als 
Beispiel das bekannte, wegen seiner schönen Weise gern gesungene sogenannte 
schwähische Volkslied: Jetzt gang i ans Brünnele. Dies wird auch im Vogt- 
land gesungen. Man könnte meinen, es hätte eben aus Schwaben nach dem 
Vogtland seinen Weg gefunden, sei es durch mündliche Übertragung, sei es 
durch Vermittelung des Drucks. Daß dies aber nicht der Fall ist, kann 
man deutlich aus der Fassung ersehen, die von der schwäbischen in vielen 
Stücken abweicht, namentlich ausführlicher ist als jene. 
Fassungen nebeneinander. 
Schwäbisch: 
1. Jetzt gang i ans Brünnele, 
Trink aber net, 
Do such i mei herztausige Schatz, 
Find'n aber net 
2. Do laß i mei Augele 
Um und um gehn, 
Do siehn i mei herztausige Schatz 
Beim e andre stehn. 
3. Und beim e andre stehn sehn 
Ach das thut weh! 
Jetzt bhüt die Gott, herztausiger Schatz, 
Dich bsich ich nemme meh. 
4. Jetz kauf i mer Dinten 
Und Feder und Papier 
Und schreib mei herztausige Schatz 
Ein Abschiedsbrief. 
5. Jetz leg i mi nieder 
Aufs Heu und aufs Stroh, 
Do falla drei Rösele 
Mir in den Schoß. 
6 Und diese drei Rösele 
Sen roserot: 
Jetz weiß i net, lebt mei Scha#z, 
Oder ist er tot. 
Ich stelle beide 
Vogtländisch: 
1. Jetzt geh ich zum Brünnele, 
Trink aber net, 
Da such ich mein herztausigen Schatz, 
Find'n aber net. 
2. Da laß ich meine Augelein 
Um und um gehn, 
Da seh ich mein' herztausigen Schatz 
Bei einem andern stehn. 
3. Und wirft ihn mit Röselein, 
Treffen mich thut, 
Meint, sie wär'n ganz allein, 
Das thut nicht gut! 
4. Und bei nem andern stehen sehn 
Ach das thut wehl 
Jetzt bhüt dich Gott, herztausiger Schatz, 
Dich seh' ich nimmermeh. 
5. Jetzt kauf ich mir Tinte 
Und Feder und Papier 
Und schreib' mein’ herztausigen Schatz 
Einen Abschiedsbrief. 
6 „Was willst du schon reisen fort? 
Hast ja noch Zeit!“ 
— Ei b’hüt dich Gott, herztausiger Schaß, 
Meine Wege sind weit. 
7. Jetzt leg'’ ich mich nieder 
Auf Heu und auf Moos, 
Da fallen drei Röselein 
Mir in den Schoß. 
8. Und diese drei Röselein 
Sind rosenrot; 
Jetzt weiß ich nicht, lebt mein Schatz, 
Oder ist er tot. 
Der Zusammenhang des Liedes ist folgender: der Bursch geht zum 
Brunnen, um sein Mädchen zu sehen. Sie steht bei einem anderen. In 
der vogtländischen Fassung ist neu, daß sie diesen anderen im Scherz mit
	        
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