Karl Franke: Die obersächsische Hauptmundart. 279
kürzungen der neuhochdeutschen, sondern der mittelhochdeutschen aufzufassen
sind. Gerade weil in diesen Formen schon ĩ zu i und ##zu u verkürzt
waren, ehe die Umwandlung von # und ü in Doppelselbstlaute im Ober-
sächsischen eintrat, wurden sie von derselben nicht betroffen. Nun entspricht
aber dem schriftdeutschen wir sind mittelhochdeutsches wir sin, und von
sint — sie sind hatte sich auch eine Nebenform sin gebildet. Beide Formen
hat daher ganz regelrecht im Obersächsischen, im Erzgebirgischen und
in dem größeren nördlichen Teile des Vogtländischen der Wandel von
mittelhochdeutschem 1 zu ei mit betroffen, so daß sie obersächsisch-erz-
gebirgisch mèr und si sein und nordvogtländisch sär (Meßbach, Thierbach,
Hohenleuben) lauten.
Während also die meisten deutschen Mundarten wie die Schriftsprache
die mittelhochdeutschen langen einfachen Selbstlaute in Doppelselbstlaute um-
wandelten, haben sie mehr oder minder das Bestreben, die alten Doppelselbst-
laute zu vereinfachen. Doch gehen sie dabei ganz verschiedene Wege. Die
einen leisten dem Niederdeutschen Gefolgschaft, das mittelhochdeutsches ei und
öhu in 6, ou in 6 zusammenzog, die andern dem Oberdeutschen. Das
Obersächsische thut ersteres und meist auch das Osterzgebirgische sowie
das Schlesisch-Lausitzische, das Vogtländische und Westerzgebirgische
dagegen letzteres, und gerade darin liegt ein sehr wesentlicher Unterschied dieser
beiden Mundarten vom Obersächsischen.
Es lauten demnach z. B. die hochdeutschen Wörter zwei, nein, reisen, Eiche:
im Obersächsischen: dsw, né, rsn, exe;)
im Westerzgebirgischen: dswä, nä, räsn, äun;
im Vogtländischen: dswä (Rodersdorf b. Plauen, Schöneck, Hos),
ná (Meßbach b. Pl.), räsn, 41 (Schöneck).
Ferner die hochdeutschen Wörter Baum, laufen, auch;
im Obersächsischen: böm, löfn, öx oder 6;
im Westerzgebirgischen: bäm, lafn, à;
im Vogtländischen: Bäm, läfm, à
und Freude, läuft:
im Obersächsischen: frêde, lefc;
im Westerzgebirgischen: fräd, Lläld
im Vogtländischen: fräd und läfd.
Namentlich hemmte ein auf ei folgendes g oder ein auf ou und ön
folgendes w die Vereinfachung im Obersächsischen. So lauten hier Mai
(mittelhochdeutsche Nebenform meige) mèi, hauen (mittelhochdeutsch houwen)
haun und Heu (mittelhochdeutsch höuwe) hei oder hoy.
*) é, k, 4 und à sind lang zu sprechen, und zwar e geschlossen, wie in Klee, à offen
wie 6; 4 klingt nach 3#, à nach o zu.