Full text: Sächsische Volkskunde.

Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres. 303 
zwar in Berlin. Heute ist sie bei uns fast ganz zurückgedrängt, selbst in 
der ärmsten Hütte hatte der Tannenbaum Aufnahme gefunden; nur in einigen 
Gegenden treffen wir sie noch mehrfach an. 
Auf anderem Boden, als unser Christbaum, ist die Sitte der Bescherung 
gewachsen. Schon im alten römischen Reiche war es Brauch, am Neujahrs- 
tage sich gegenseitig zu beschenken. Die romanischen Völker pflegen es ja 
heute noch an diesem Tage zu thun. Wie so mancher altrömische Brauch, 
hat sich auch dieser auf germanischem Gebiete eingebürgert. Im Mittelalter 
finden wir ihn ziemlich verbreitet. Lehnsherr und Lehnsmann, Herr und 
Diener beschenkten sich am Neujahrstage gegenseitig, und die Beamten pflegten 
ebenfalls Geschenke zu erhalten. Im Laufe der Zeit wurde diese Verteilung 
von Gaben auf das Geburtsfest Christi verlegt. Sie bleibt auch jetzt noch 
auf Erwachsene beschränkt. Eine Beschenkung der Kinder läßt sich vor der 
Reformation nicht nachweisen, sie ist erst eingetreten unter dem Einflusse 
dieser und einer neuen Pädagogik, die Luthers Lehre mit sich brachte. Die 
ältesten Kinderbeschenkungen finden wir im 16. Jahrhundert und zwar in 
protestantischen Ländern, u. a. auch bei uns in Sachsen. Ursprünglich sind 
auch sie nicht an den Christtag gebunden. Wie noch heute in verschiedenen 
Gegenden Deutschlands, besonders in den nordwestlichen und in den Nieder- 
landen, fanden sie am Nikolaustage statt. Aber bald tritt das Christkind 
das Erbe des heiligen Nikolaus an, und dann bringt es die Gaben an seinem 
Geburtstage. Die Art und Weise der Austeilung bleibt freilich noch die 
alte: die Gaben werden in einem Bündel gebracht, in dem neben allerlei 
Spielzeug auch die Rute nie fehlen darf. Wir besitzen die Schilderung einer 
solchen Beschenkung aus dem Jahre 1571 vom Pfarrer Thomas Winzer aus 
Wolkenstein, woraus man erfährt, daß „gemeiniglich die Kinderlein fünfferley 
Dinge in solchem Bündel vorfinden: Geld, — Stollen, Zuckerzeug und 
Pfefferkuchen, — Kleider, — Bücher und Schreibmaterial — und daneben 
die angebundene Christrute“. Die Spenden waren also schon damals 
durchaus nicht kärglich. Aus dem Ausgange des 16. Jahrhunderts erfahren 
wir auch, was unser Kurfürst August für seine Kinder an Weihnachtsgeschenken 
in Leipzig bestellte: Das waren u. a. eine Jagd aus 75 Stücken, Puppen- 
stube und Küche mit voller Ausstattung und anderes. Aber auch 2 Ruten, 
die zu 6 Pfennigen berechnet waren, durften in dem Bündel des Kurprinzen 
und der kurfürstlichen Fräulein nicht fehlen. Später wurden die Geschenke in 
Schüsseln dargereicht. Erst seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben 
wir aus Sachsen Zeugnisse, daß die Gaben auf den Tisch gestellt wurden. 
So läßt sich verfolgen, wie die Sitten, die sich heute an unser Weih- 
nachtsfest knüpfen, ganz verschiedenen Keimen entsprossen sind, wie sie unser 
Volk im Laufe der Jahrhunderte, seinem Charakter und Gemüt entsprechend, 
|umgeformt und vereint hat. Heute sind sie ganz durchdrungen von dem Drange
	        
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