304 Eugen Mogt: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres.
unseres Volkes nach Familienfreude und Familienglück, sie sind der Glanzpunkt
des Jahres auch in der Familie des ärmsten Mannes.
Bevor ich von Weihnachten scheide, mag noch mit wenigen Worten des
Christstollens gedacht werden, der ja in Sachsen allgemein verbreitet ist.
Nicht überall in deutschen Landen finden wir ihn, weder in bayrisch-ale-
mannischem, noch in fränkischem Gebiete ist er heimisch, dagegen ist er es in dem
ganzen ostdeutschen Kolonisationsgebiete. Und hier ist er in der Form, die er
heute hat, sehr alt, denn bereits um 1400 wird er in diesen Gegenden erwähnt.
Unser Volk liebt es, an geweihten Zeiten besondere Speisen, besonderes Ge-
bäck zu haben. Was die Veranlassung zu der Form dieses Gebäcks gegeben
hat, das ja in den verschiedenen Festzeiten und Gegenden meist verschieden
ist, das ist schwer zu unterscheiden. Gerade diese Frage ist eines der schwierigsten
Probleme der geschichtlichen Volkskunde. Ob wir im Stollen eine symbolische
Darstellung des Christkindes haben, was ja recht gut möglich ist, oder ob
das Gebäck ins Heidentum zurückgeht, wage ich nicht zu entscheiden. An
ein altgermanisches Opfer, wovon so oft gefabelt wird, ist natürlich nicht
zu denken.
Geht der Stollen auf die Neige, so hält ein anderes Gebäck seinen Ein-
zug: die Fastenbrezel. Diese scheint aus den romanischen Ländern zu uns
gekommen zu sein, wenigstens ist das Wort „Brezel“ italienischen Ursprungs
und bedeutet „verschlungene Arme"“. Für den fremden Ursprung der Brezel
scheint auch der Umstand zu sprechen, daß diese von jeher Gegenstand des
Handels gewesen ist, während der Stollen ja auch heute noch meist in der
Familie gebacken, oder wenigstens von der Hausmutter zubereitet wird.
Früher hatten bestimmte Bäcker das Recht, Brezeln backen zu dürfen. Dann
gingen die Brezelleute mit ihren Schnurren oder Pfeifen umher, eine Sitte,
die heute fast ganz geschwunden ist. Am 6. Januar pflegte die eintönige
Schnurre sich zum erstenmale hören zu lassen, und mit der Charwoche war
ihre Zeit vorüber. Nur einmal verdrängte sie während dieser Zeit eine leckere
Speise: das war der Pfannkuchen in der Fastnacht, der am Familienherd
gebacken war. Unsere alles ausgleichende Zeit hat auch die zeitlichen Grenzen
dieser alten Fasten= und Fastnachtsgebäcke zerstört. Wohl wird auf dem Lande
noch hier und da zu Fastnachten der Pfannkuchen gebacken, aber in den
Städten ist er fast jeden Tag im Jahre käuflich, und die alte Fastenbrezel
ist in vielen Gegenden ganz geschwunden, in anderen dagegen ebenfalls ein
alltägliches Gebäck.
Der nächste wichtigste Abschnitt im Kreislauf des Jahres ist die Fasten-
und Osterzeit. Sobald im Frühjahre die Tage länger und wärmer wurden
und die Erde aus ihrem Winterschlafe erwachte, da jubelten unsere Vor-
fahren der wiederkehrenden Sonne entgegen, begrüßten sie mit allerlei sym-
bolischer Handlung und mit ihr zugleich das neue Leben, das sich in der