Full text: Sächsische Volkskunde.

Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres. 307 
besonderer Vorliebe wurden Birkenreiser und Weidenzweige mit Osterkätzchen 
zu solcher Lebensrute genommen. Die Zeit hat den Sinn dieser symbolischen 
Handlung vergessen lassen, aber noch vor wenigen Jahrzehnten war es in 
einem großen Teile unseres Erzgebirges üblich, daß am 1. oder 2. Oster- 
feiertage sich die Burschen mit Ruten zu den Betten der jungen Mädchen 
begaben und diese schlugen, worauf jene von den Aufgepeitschten Kaffee und 
Kuchen bekamen. In anderen Gegenden wurden bis in unserer Zeit die 
jungen Kühe, besonders die Kalben, am Ostermorgen oder beim Austrieb im 
Frühlinge ebenfalls mit der Lebensrute geschlagen. Heute sind auch diese 
alten Sitten fast ganz geschwunden, aber ihrer hat sich, wie so mancher 
anderen symbolischen Handlung, die Kinderwelt bemächtigt: in Klingenthal 
z. B. gehen zu Ostern die Kinder mit Ruten umher, um aufzuhauen. Sie 
erhalten dafür Spenden, bunte Eier, Brezeln, Kuchen oder Geld. 
Einen ähnlichen Wandel, wie bei der Lebensrute, können wir auch bei 
anderen volkstümlichen Sitten wahrnehmen. Was in alter Zeit einmal Kult 
gewesen ist, der im Glauben an eine übernatürliche Macht seine Wurzel 
hat, das ist im Laufe der Zeit und im Wechsel der Verhältnisse herabgesunken 
zu toter Sitte, deren tieferen Gehalt niemand mehr erkannt hat, ist immer 
mehr verblaßt, hat neue Formen angenommen und fristet schließlich im Spiel 
der Kinder ein Schattendasein oder lebt hier in neuer Gestalt wieder auf. 
Solchen Wandel haben auch die alten Flurenritte gemacht, die heute in dem 
Osterreiten und dem Gesange herumziehender Schüler kaum noch wieder zu 
erkennen sind. In Sachsen haben sich diese Bräuche bis in die Gegenwart 
erhalten — das Osterreiten besonders in der Lausitz, — doch sterben auch sie 
immer mehr ab. 
Wenn unsere Vorfahren Besitz von Grund und Boden nahmen, dann 
pflegten sie mit Feuer das neu zu bebauende Gebiet zu umgehen, um dies 
zu reinigen und alle schädigenden Dämonen zu bannen. Aus dieser einmaligen 
Handlung ist eine periodisch wiederkehrende hervorgegangen: Jedes Jahr, 
bevor die Acker bestellt wurden oder kurz nach der Bestellung, ritt oder ging 
man in feierlichem Zuge um die Saatfelder. Ob man bei dieser Gelegen- 
heit in heidnischer Zeit Feuer oder Götterbilder trug, lassen altdeutsche 
Quellen nicht erkennen; nach nordgermanischen trug man Feuer umher. 
Gegen diese Flurengänge eifern die ältesten Synoden immer und immer 
wieder, allein vergeblich. Bald mußte die Kirche einsehen, daß sie nicht 
auszurotten seien, und so nahm sie sie unter ihre Fittiche, und von nun an 
wandelte der Geistliche mit dem Bilde der Ortsheiligen oder der Maria in 
feierlicher Prozession und unter Gesang durch die Fluren und segnete die 
Felder. Zugleich wurde diese Feierlichkeit auf ein kirchliches Fest, auf Ostern, 
andernorts auf die Himmelfahrt verlegt. Diese katholischen Umzüge hörten bei 
uns selbstverständlich mit Einführung der Reformation auf, allein es blieb 
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