Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres. 313
Getreidewagens von den Knechten und Mägden dem Gutsherrn feierlichst
überreicht. Hierbei wurde in der Regel gesungen, wie noch vor einigen
Jahrzehnten in der südlichen Lausitz: „Jetzt bringen wir den Alten“. Für
die Überreichung dieser Garbe gab der Gutsherr den Schnittern noch an
demselben Abende oder am folgenden Sonntage ein Fest, an dem u. a.
Kuchen, aus neuem Getreide gebacken, ausgeteilt wurde. — Dieser Alte ist
heute fast durchweg verschwunden, und auch vom Stoppelhahn in der letzten
Garbe weiß fast kein Erzgebirgler mehr zu erzählen. Aber das Erntefest ist
geblieben, wenn auch im Erntedankfest sein kirchlicher Charakter mehr in den
Vordergrund tritt und gewinnsüchtige Wirte auf Kosten des Beutels der
Dorfbewohner die Leitung der Feier in die Hände genommen haben.
Während sich das Erntefest an den Schluß der Ernte knüpft, feierte
das Volk in seiner Kirmes den Schluß des gesamten wirtschaftlichen Jahres.
Wenn die Herden von ihren Weiden nach den Ställen zurückgekehrt und
die Früchte des Feldes eingeerntet und das Getreide gedroschen, so war bei
unseren Vorfahren das wirtschaftliche Leben des Jahres vorüber, der Jahres-
schluß war da. Dieser fiel in die erste Hälfte des Novembers. Jetzt be-
dingte der Mangel an der nötigen Nahrung für das Vieh und die Rück-
sichten auf den eigenen Hausstand eine Verminderung des VBiehbestandes, es
begann das Einschlachten eines Teiles der Haustiere und mit ihm zugleich
das große altgermanische Jahresschlußfest. Infolge des Einschlachtens war
aber Fleisch im Uberfluß vorhanden: diese Thatsache veranlaßte jene großen
Schmausereien, zu denen Verwandte von nah und fern geladen wurden.
Zur Speise gesellte sich das Getränk, in alter Zeit Met und Bier, und bald
kam auch der Kuchen aus neuem Getreide hinzu. In diesen altdeutschen
Winterfesten, deren letzte Tage wir schon beim Weihnachtsfeste kennen lernten,
ist die Wurzel unserer Kirmes zu suchen. Auf sie geht wahrscheinlich auch
unser Martinschmaus zurück. Daß sich diesen Schmausereien alle möglichen
Lustbarkeiten zugesellten, ist bei dem Drange unseres Volkes nach Poesie
des Lebens selbstverständlich. Sie mögen zum Teil aus altheidnischen Opfer-
feierlichkeiten, die einst mit diesem Feste verbunden waren, hervorgegangen
sein, aber der schaffende Geist des Volkes hat nicht stille gestanden und hat
jederzeit den Verhältnissen entsprechende neue hinzugefügt. Und als das
Christentum bei unseren Vorfahren Eingang fand, da war dies große ger-
manische Jahresschlußfest so fest gewurzelt, daß die Geistlichen bald einsahen,
daß an eine Ausrottung nicht zu denken sei. Und so setzten sie denn, den
Vorschriften des römischen Bischofs gehorchend, in die ersten Tage jener Zeit
die Feier zum Gedächtnis an die Einweihung der Kirche, die Kirchweih, die
mit besonders feierlicher Messe verbunden war. Nach letzterer hat die
Kirmes, die Kirmse (d. h. die Kirchmesse) ihren Namen. Aber auch nach
dieser Bestimmung überwucherte das weltliche Fest ganz das kirchliche, nur