314 Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres.
daß nun jenes an einem Sonntage gefeiert wurde. In den Städten knüpfte
sich an das Fest schon frühzeitig der Jahrmarkt und die Lustbarkeit setzte
sich oft tagelang fort. Wie tief gerade dieses Fest in der Volksseele wurzelte,
lehrt die Thatsache, daß im 15. und den folgenden Jahrhunderten Kirmes
und Kirchweih schlechthin für jede ausgelassene Lustbarkeit gebraucht wurde,
so daß z. B. die Fastnacht die Narrenkirchweih oder eine lustige Kindtaufe
Kindleskirmes heißt. Daß es bei solchen Festen nicht selten zu Ausartungen
kam, darf uns nicht wundern. Daher eifern Obrigkeiten und die Kirche
immer und immer wieder gegen die volkstümlichen Kirmessen, aber wie
wenig es gelungen ist, gerade dies Fest auszurotten, weiß jeder aus Er-
fahrung. In unserem ganzen Lande wird auch heute die Kirmes gefeiert:
wie in alter Zeit wird vielfach ein Schwein geschlachtet, wird Kuchen ge-
backen, ergehen Einladungen an Freunde und Verwandte. An Bier und
Schnaps, selbst an Wein darf kein Mangel sein, und der Tanz darf nach
alter Sitte nicht fehlen. Auch Geschenke werden noch vielfach unter Gesinde
und Kinder verteilt, und im Erzgebirge erbitten sich letztere von ihren Eltern
neue Kleider.
Mit der Kirmes sind wir am Schlusse des altdeutschen Jahres an-
gelangt. So sehr sich die Sitten und Bräuche unseres Volkes im Laufe
der Zeit verändert haben, so sind sie doch fast durchweg auch in ihrer neuen
Form der Ausdruck der deutschen und somit auch der sächsischen Volksseele
geblieben: in allem zeigt sich das Streben unseres Volkes nach der Peoesie
des Lebens, sein Gemüt, sein unverwüstlicher Humor. Trefflich hat bereits
im Anfange des 16. Jahrhunderts Johannes Agricola diese Züge unserer
Volksseele erkannt und deshalb den volkstümlichen Festen das Wort ge-
sprochen. „Fröhlich und guter Dinge sein,“ heißt es dort, „wohlleben, herr-
lich essen und trinken ist löblich, wenn's selten geschieht; wenn es aber täg-
lich geschieht, so ist es sträflich. Wir Deutsche halten Fastnacht, St. Bur-
chard und St. Martin, Pfingsten und Ostern für die Zeit, da man soll für
andere Gezeiten im Jahre fröhlich sein und schlemmen; Burchards-Abend
um des neuen Mosts willen, St. Martin um des neuen Weines willen; da
brät man eine feiste Gans und freut sich alle Welt. Zu Ostern bäckt man
Fladen. Zu Pfingsten macht man Laubhütten und man trinkt Pfingstbier
wohl 8 Tage. Zu den Kirchmessen oder Kirchweihen gehen die Deutschen
vier, fünf Ortschaften zusammen; es geschieht aber des Jahres nur einmal,
dann ist es löblich und ehrlich, sintemal die Leute dazu geschaffen sind, daß
sie freundlich und ehrlich untereinander leben sollen.“