Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 325
es die Hexen doch vor allem auf die Kühe abgesehen: ihnen die Milch zu
nehmen, daß der Bauer keine Butter bekommt, sind sie am eifrigsten bemüht.
Daneben bringen sie Viehseuchen, Ungeziefer in das Land, behexen auch die
Kinder, daß sie nicht gedeihen, und schlagen den Menschen, daß er sich nicht
rühren kann. Aus diesem Glauben erklärt sich unser Wort Hexenschuß.
Auch Unwetter erzeugen sie, Hagel, Sturm, Nebel, und im Gewitter flattern
sie als Krähen oder Raben in der Luft umher. Denn wie alle anderen
seelischen Wesen hat auch die Hexe Proteusnatur. Im Erzgebirge wie in
der Lausitz weiß man von ihr zu erzählen, daß sie die Gestalt eines Hasen,
einer Katze, einer Kröte, einer Eule und anderer Tiere annehmen könne.
In zwei Jahreszeiten treiben die Hexen ganz besonders ihr Handwerk, und
auch hierin stimmen sie mit den anderen Scharen seelischer Wesen überein:
zur Zeit des beginnenden Hochsommers und im Mittwinter, in den Zwölf
Nächten. In dieser Zeit muß man sich besonders vor ihnen zu schützen
suchen. In der Walpurgisnacht aber sollen sie ihre Zusammenkünfte mit
dem Teufel haben. Hier ist Hexen= und mittelalterlicher Teufelsglaube ver-
schmolzen.
Als männliches Gegenstück zu den weiblichen Hexen lebt im westlichen
Teile unseres Vaterlandes im Volksglauben der Bilmschnitter oder Bilmet-
schneider oder Binsenschnitter oder Getreideschneider, wie er im Erzgebirge
heißt. In früheren Jahrhunderten hat der Glaube an ihn auch in der Lausitz
geherrscht, wo er jedoch heute geschwunden zu sein scheint. Der sprachliche
Ursprung des Wortes ist dunkel, doch findet sich die mythische Gestalt als
pilwiz oder pilwiht schon im 12. Jahrhundert und ist früher verbreiteter ge-
wesen als heute. Der Bilmschnitter ist der schädigende Dämon der Felder. Mit
einer Sichel am Fuße geht er nächtlicher Weile durch die Felder und schneidet
einen Teil der Saat ab, die so dem Bauer verloren geht. Auch er treibt
ganz besonders, wie die Hexen, in der Johannisnacht sein Wesen. Deshalb
machte man gerade an diesem Abend drei Kreuze mit Liebstöckelöl an jeder
Ecke des Feldes, um dadurch sein Kommen zu verhindern, denn er durch-
quert stets das Feld von einer Ecke zur andern. Auch aus der Scheune
holt zuweilen der Bilmschnitter das Getreide. Daher hängt man ein Büschel
grüner Tannenzweige über das Scheunenthor auf, bevor das Getreide herein-
kommt, und drischt dann dies zuerst und gleich darauf auch das Getreide.
Während der Glaube an den Bilnschnitter bei unserem Volke immer
mehr schwindet, hat sich der an zwei andern mythischen Wesen in vollster
Reinheit erhalten: der Glaube an den Kobold und an den Drachen. Von der
Hexe und dem Bilmschnitter unterscheiden sich diese Wesen dadurch, daß sie dem-
jenigen Glück bringen, bei dem sie sich aufhalten. Der Kobold giebt sich schon
durch seinen Namen als Hausgeist zu erkennen: das Wort bedeutet „der über den
Kofen, die Hütte Waltende“. Wort und Sache lassen sich bereits in der frühesten