Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 327
als Schlangenkönig in verborgener Ecke des Kellers weilt und dem Hause
Glück und Segen bringt, u. a. Was aber diesen Glauben hat wachsen und
wuchern lassen, das ist der menschliche Egoismus, der Neid über den
Mitmenschen, dem Arbeitsfreudigkeit und Wirtschaftlichkeit Wohlstand ge-
bracht haben.
Ich kehre jetzt zu dem eigentlichen Seelenglauben unseres Volkes zurück.
So oft auch die freie Seele infolge ihrer Proteusnatur Tier= oder Menschen-
gestalt annehmen kann, im allgemeinen wird sie körperlos gedacht. Sie ge-
langt nach dem Tode in die Scharen umherziehender Geister, die sich im
Wehen des Windes, besonders im Heulen des Sturmes, bemerkbar machen.
Der Atemzug des Menschen ist seine Seele. Schon sprachlich ist Atem
gleichbedeutend mit Seele, Geist. Wenn der Mensch aufgehört hat zu atmen,
dann kann das Leben, das sich durch das Atmen kund gab, nicht erloschen
sein. In der bewegten Luft glaubte man es wiederzuerkennen, und so ent-
stand der Glaube, daß das Heer der abgeschiedenen Seelen hier fortlebe und
in Wind und Sturm Zeichen seines Daseins gebe. Hieraus erklärt sich die
religionsgeschichtliche Thatsache, daß fast bei allen Völkern, die den Begriff
persönlicher Götter kennen, der Windgott zugleich Totengott ist. Wie bei den
Griechen Hermes die Seelen der Abgeschiedenen als Windgott nach dem
Hades führte, so fuhr bei unseren Vorfahren Wodan an der Spitze des
Seelenheeres durch die Lüfte, Wodan, der schon seinem Namen nach
Windgott ist. Noch lange in christlicher Zeit hat im Volksbewußtsein der
engste Zusammenhang zwischen den Seelen der Abgeschiedenen und dem
Winde bestanden. Der alte Prätorius erzählt uns, wie sich um die Stätte,
wo einst ein Weib verbrannt worden wäre, etliche Tage ein Wirbelwind
erhoben babe, und von der Mansfelder Gegend berichtet Agricola, daß Leute
in dem wütenden Heere, das durch die Lüfte gefahren, jüngst gestorbene
Menschen deutlich erkannt hätten. Als Überrest des alten, lebendigen Glau-
bens ist auch der in vielen Gegenden verbreitete Aberglaube anzusehen, daß sich
jemand gehängt habe, wenn sich plötzlich ein arger Wind erhebt. Alte
Quellen wissen zu erzählen, daß dann das Heer der Geister kommt und
seinen neuen Genossen abholt. Sonst hat sich der Mythus meist in die
Sage geflüchtet, aber hier lebt er in alter Frische fort. In unserem Sachsen
sind es vor allem die Sagen von der Frau Holle oder Perchta, wie jene
mythische Gestalt namentlich im Vogtlande heißt, und vom wilden Jäger
oder vom Bern= oder Bandietrich in der Lausitz.
Wir brauchen nicht alle diese Sagen, wie so oft geschieht, ins graue
Altertum zu versetzen; die mythenbildende Phantasie unseres Volkes hat
gerade in diesem Kreise unaufhörlich neue Gebilde geschaffen, die sich aller-
dings mehr oder weniger an bereits vorhandene anlehnen. Wie der alte