Full text: Sächsische Volkskunde.

328 Eugen Mogk: Aberglaube und Volksmythen. 
Geisterglaube nie vollständig aus dem Volke geschwunden ist, wie noch vor 
hundert Jahren selbst von Gelehrten die Existenz von Gespenstern und Seelen- 
karawanen ganz energisch verteidigt wurde, und wie noch heute die Spiri- 
tisten für sie eintreten, so hat sich die Phantasie des schlichten Mannes auch 
immer und immer wieder neue Sagen von dem herumziehenden Geisterheere, 
von der wilden Jagd gebildet. Und diese Sagen sind zum Teil Zeugnisse 
einer recht gesunden, hier und da auch zarten Phantasie unseres Volkes, 
aus denen nicht selten tief göttliche Anschauungen sprechen und die zugleich 
auch einen ethischen und erzieherischen Kern besitzen. Ich erinnere nur 
an die ergreifende Erzählung vom Kinde mit dem Thränenkrüglein, die uns 
zuerst Börner aus dem Orlagau berichtet, von jener Kindesseele, die in der 
Nacht vor dem heiligen Dreikönigsfeste in der Heimchenschar der Perchta die 
Lüfte durchzieht und ihrer weinenden Mutter die Bitte ans Herz legt, nicht 
mehr zu klagen und zu weinen, sie müsse in einem Kruge all ihre Thränen 
tragen und dieser Krug sei schon übervoll, und daß sei die Ursache, daß sie 
mit durchnäßtem Hemdchen wandern müsse. Dieselbe Perchta, in deren 
Seelenschar sich jenes Kindlein befand, untersucht auch nach vogtländischem 
Glauben die Rockenstuben und bestraft die vorlauten oder trägen Mädchen, 
die am Dreikönigsabende ihre Spulen nicht abgesponnen haben, wie sie auf 
der anderen Seite den Wagner reich belohnt, der ihren zerbrochenen Pflug 
wieder hergestellt hat. Auf ähnliche Weise, wie im Vogtlande die Perchta, 
erscheint in der Leipziger Gegend die Frau Holle. Wie jene treibt auch sie 
ganz besonders in den Zwölf Nächten ihr Wesen, zeigt sich aber in unserer 
Zeit fast immer nur allein. Sie ist im Märchen zum kleinen, bucklichten 
Mütterchen von häßlichem Antlitz geworden, von dem die Kinder jubelnd 
ausrufen, wenn der erste Schnee fällt: „Frau Holle macht ihr Bett!"“ 
Mit größerem Lärm als das Heimchenheer streicht das wilde Heer oder 
die wilde Jagd durch die Lüfte. Wenn es draußen heult und stürmt, be- 
sonders in den Zwölf Nächten, treibt es sein Wesen. Die Sagen von ihm 
finden wir über ganz Sachsen verbreitet, schwinden aber auch heute immer 
mehr und mehr. Es wird geführt von dem wilden Jäger, der laut sein 
Ho, hol durch die Lüfte erschallen läßt und den eine Meute bellender Hunde 
begleitet. Wehe dem Wanderer, der sich verspätet hat und in den Bann- 
kreis dieses Geisterspukes kommt. An Kreuzwegen ist es besonders gefähr- 
lich ihm zu begegnen. In manchen Gegenden, so im Altenburgischen, läßt 
man an den Scheunen die Luken oder kleine Pförtchen auf, damit die wilde 
Jagd durchsausen kann. Zuweilen wirft der wilde Jäger den Menschen ein 
Stück Pferdefleisch zu. Ist dies der Lohn für eine erwiesene Wohlthat, so 
verwandelt es sich in Gold, ist es aber eine Gabe für Verhöhnung, so ver- 
breitet es einen garstigen Geruch und wird immer wieder gebracht, so 
oft man es auch entfernt oder vergräbt. Der Volksmund weiß zu erzählen,
	        
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